Episches Duell mit brutalem Ende

von Redaktion

Thiem macht gegen Nadal das Spiel seines Lebens, ehe ein einziger Fehler alles zerstört

von doris henkel

New York – Wer sich so ein Ende ausdenken würde, dem müsste man Grausamkeit unterstellen. Die Anstrengungen in einem großartigen, fast fünf Stunden dauernden Spektakel auf einen ganz gemeinen Fehler reduziert, der direkt in den Abgrund führt. Nahezu alles machte Dominic Thiem an diesem unerträglich schwülen Abend in Flushing Meadows richtig, und es ist sicher nicht übertrieben zu sagen, er habe nie besser gespielt. Mit einer doppelten Dosis Mut und nicht nachlassender Entschlossenheit drängte er Rafael Nadal immer wieder an die Klippe zum Abgrund, und ein paarmal hatte es so ausgesehen, als werde der Spanier gleich fallen. Doch am Ende war es ein Schmetterball von Thiem, der hinter der gegnerischen Linie landete und der das Spiel im Tiebreak des fünften Satzes zu Nadals Gunsten entschied (0:6, 6:4, 7:5, 6:7, 7:6).

Je länger dieses umwerfende, über verrückte Momente zu einem brutalen Ende führende Spiel dauerte, desto mehr stand das Volk hinter Thiem. Die größten Centre Courts der Welt sind normalerweise das Terrain von Roger Federer und Rafael Nadal, und jeder, der Ansprüche anmeldet, tut sich schwer, die die gleiche Unterstützung zu bekommen. Doch die Art, wie der Österreicher diesmal auftrat, war so mitreißend und so mutig, dass er das Publikum an diesem heißen Abend eroberte, als sei er d’Artagnan.

Dass er den ersten Satz 6:0 gewann und Nadal dabei nur sieben Punkte machte – geschenkt. So was passiert manchmal, wenn einer einen schwachen Start erwischt, und in einem Spiel mit drei Gewinnsätzen bleibt ja noch reichlich Zeit, das Loch wieder zuzuschaufeln. Doch in den restlichen viereinhalb Stunden unter härtesten Bedingungen – wie am Tag zuvor bei Federers Niederlage gegen den Australier John Millman zeigte das Thermometer am Abend bei hoher Luftfeuchtigkeit noch um die 30 Grad –, ging es mit größtmöglichem Einsatz um kleinste Vorteile auf beiden Seiten. Nadal gewann den zweiten Satz und den dritten, und er hätte die Sache ein wenig abkürzen können, hätte er Ende des vierten einen Volley versenkt, der ihm einen Matchball eingebracht hätte. Der Fehler bei diesem Volley nervte ihn extrem, im Ärger darüber spielte er einen bescheidenen Tiebreak, und Thiem glich aus.

Aber eigentlich hätte man Nadal dankbar dafür sein müssen, dass er diesen Tiebreak verlor, sonst hätte es das Spektakel des fünften Satzes und des letzten Tiebreaks nicht gegeben. Nur bei den US Open wird auch im entscheidenden Satz Tiebreak gespielt, und das zu Herzrasen führende Ende passt perfekt zum atemlosen Turnier und zur großen Stadt auf der anderen Seite des East River. Um 1.52 Uhr begann dieser Tiebreak, in dem beide mit der letzten Kraft ihrer Beine und pumpenden Lungen alles gaben, zwölf Minuten später machte Thiem nach dem besten Spiel seines Lebens jenen Fehler beim Schmetterball, der alles entschied.

Einen Moment lang stand er wie vom Donner gerührt da, während sich das Luft schnappende Volk mühsam sammelte, dann stieg Nadal über Netz und nahm ihn in den Arm. Tut mir leid, sagte der erschöpfte Sieger. Dominic Thiem machte dabei nach all den Anstrengungen und dem aufregenden Spiel einen ziemlich gefassten Eindruck. Natürlich sei er jetzt fürchterlich enttäuscht, sagte er, aber in ein paar Tagen werde er sicher zurückschauen und sich daran erinnern, wie großartig es war, vor diesem Publikum und in diesem Stadion zu spielen. „Es war das erste wirklich epische Match gegen einen der großen Jungs auf der Grand-Slam-Bühne, das ich gespielt habe. Und ich bin froh darüber, auch wenn es am Ende in die falsche Richtung ging.“

Rafael Nadal hat nun zwei Tage Zeit, sich zu erholen, bevor es am Freitag mit dem Halbfinale gegen den bisher überzeugend spielenden Juan Martin del Potro weitergeht. Und diese beiden Tage wird er auch brauchen nach dem längsten Spiel, das er je bei den US Open machte. Zum Glück muss er nicht befürchten, dass es dann wieder so heiß und stickig sein wird wie beim Sieg gegen Dominic Thiem; für Freitag sagt der Wetterbericht gemäßigte Temperaturen voraus.

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