München – Es war kein gewöhnliches Länderspiel gestern Abend in München. Entthronter gegen neuer Weltmeister – Start der neuen Nations League, und über allem steht das große Wort Wiedergutmachung. Die deutsche Nationalelf will und muss sich neu erfinden. Beim 0:0 gegen Frankreich lief nicht alles rund. Aber ein Hauch von Haute Couture war zu sehen.
Didier Deschamps war es ernst, offensichtlich. Frankreichs Trainer schickte die Elf aufs Feld, die vor gut zwei Monaten im WM-Finale aufgelaufen war. Nur Alphonse Areola ersetzte im Vergleich zum 4:2 über Kroatien den verletzten Hugo Lloris im Tor. Joachim Löw verzichtete auf der Gegenseite auf seine drei Neulinge; Thilo Kehrer, Kai Havertz und Niklas Schulz saßen auf der Bank. Der Bundestrainer hatte sich für eine Aufstellung entschieden, die an die WM vor vier Jahren erinnerte. Damals verteidigten Jerome Boateng, Mats Hummels und Benedikt Höwedes, eher grobschlächtig, wofür eigens der Begriff „Ochsenabwehr“ kreiert wurde. Es soll ja alles neu werden, besser, schneller – und stabiler. In letzterem Punkt baute Löw nun auf Boateng und Hummels im Zentrum, dazu Matthias Ginter rechts und Antonio Rüdiger links.
Die Deutschen standen stabil. Nur gelegentlich verloren sie in den Überblick, wenn die Franzosen in den Turbo schalteten. Allerdings: neu, besser oder schneller – das waren Attribute, die man bei den DFB-Kickern lange auch nicht gerade guten Gewissens zuschreiben konnte. Joshua Kimmich verdiente sich ein paar Fleißkärtchen, der Bayern-Spieler durfte auf der „Sechs“ spielen, jener Position, auf der er mal ausgebildet wurde, denn dass er den Rechtsverteidiger gibt, resultiert aus einer Zweckentfremdung. Kimmich machte es klug, da drängte sich eine Personalie für die Zukunft auf.
Die Wiederentdeckung der Ochsenabwehr und die Versetzung von Kimmich waren nicht die einzigen Veränderungen auf dem Weg, sich selber ein Upgrade zu verpassen. Leon Goretzka bekam eine zentrale Rolle zugedacht, er pendelte in den Räumen zwischen Thomas Müller und Toni Kroos. Und in der Spitze versuchte sich Marco Reus als eine Art falsche 9 oder falsche 11, in der 64. Minute hatte er die bis dahin beste Chance, doch Areola wischte den Ball gerade noch so weg.
Es war solide, es war okay, was die Deutschen bei ihrem ersten Auftritt in die neue Zeitrechnung präsentierten. Man merkte der Auswahl an, dass sie gelitten hat in den letzten Wochen. Es wird eine Weile dauern, ehe sich ein neuer Stil etabliert – oder eben der alte in einer aufgehübschten Form wiederaufersteht. Nennenswerte Chancen ergaben sich kaum, und die Deutschen haben aktuell nun mal keinen wie Kylian Mbappé in ihren Reihen, bei dem ein Raunen durch die Ränge geht, wenn er zum Slalomlauf ansetzt. Mitte der zweiten Halbzeit gab es eine Szene, in der man sehr gut erkennen konnte, wie es um das Innenleben der Mannschaft bestellt ist. Kroos hatte das Feld vor sich, doch statt einen Konter einzuleiten, passte er zurück zu Manuel Neuer. Da pfiffen die Fans das erste Mal. Im Grunde hatten sie das Team wohlwollend begleitet.
Die Menge war auch sofort wieder da, wenn es rundging. In der Schlussphase pirschten sich die Deutschen mutiger an; Hummels scheiterte aus kurzer Distanz an Areola, und auch Müller fand bei einem klugen Schlenzer seinen Meister in Frankreichs Ersatztorwart. Areola war am Ende in Top-Form, auch einen Kopfball von Ginter entschärfte er. Die Deutschen nisteten sich in Frankreichs Sechzehner ein; zum Schluss der Partie war da ein Hauch Finesse zu erkennen. Da machte sogar wieder „La Ola“ die Runde. Akt eins der Versöhnung, er ist geglückt.