München – Es gab diese Momente, in denen das Publikum in der Münchner Arena aufgeseufzt hat. Die Phase, in der die Bereitschaft zur Versöhnung mit der deutschen Nationalmannschaft auf der Kippe stand. Es wurde – nach etwa einer Stunde war das – hie und da gepfiffen, als der Ball quer und hintenrum gespielt wurde, man keinen Meter weiter kam und das Spiel träge wirkte. Schon wieder: Ballbesitz. Die Mannschaft wirkte trotzig und so, als würde sie die Zeitenwende im internationalen Fußball ignorieren. Oder als könnte sie es eben nicht anders.
Der Wert, der in der Statistik festgehalten wurde, lautete am Ende: 60:40 Prozent, Das waren die Ballbesitzanteile zwischen Deutschland und Frankreich. Joachim Löws Team sah gut aus, weil es stärker wurde und die Chancen klarer und weil plötzlich sogar Mats Hummels sich vorne in der Sturmmitte freigespielt fand. Die DFB-Elf spielte ein Drittel mehr an Pässen, sie kamen verlässlicher an. Nur bei den entscheidenden Daten, den Toren, stand es pari, 0:0 – dennoch ergab sich als Fazit aus dem Treffen mit dem neuen Weltmeister die Losung: Vive le Ballbesitz.
„Wir konnten wieder unserer Ballbesitzfußball spielen“, meinte Leon Goretzka. Der Wille, ein Spiel zu dominieren, bleibt die Grundeinstellung der Nationalmannschaft. Der Bundestrainer hatte eigentlich davon abkommen wollen in diesem ersten Spiel der Nations League. „Aber die Franzosen haben sich nicht locken lassen, sie haben nicht so hoch angegriffen wie bei der WM.“ Es ergab sich die Konstellation, dass Frankreich sagte: Du bist das Heimteam, Deutschland, dann mach was, bitte!
Für Didier Deschamps war es in Ordnung, zum Auftakt des neuen Wettbewerbs der UEFA bei den Deutschen 0:0 zu spielen, „das ist für uns ein gutes Ergebnis“. Der französische Sommer hat länger gedauert als der deutsche, die Spieler sind noch nicht richtig drin in der Saison 2018/19, „im Oktober werden wir weiter sein“. Emotional wichtiger für die Equipe Tricolore ist das Spiel am Sonntag gegen die Niederlande. Der Klassiker, das erste Spiel nach der WM im Stade de France, darauf fiebert das Land hin. Deschamps war froh, dass sein Torwart Arreola eine gute Partie ablieferte – er war nach, der Trainer hat es mitgezählt, „29 Spielen auf der Bank“ zum Einsatz gekommen.
Joachim Löw war zufrieden mit der Stimmung im Stadion, sie ließ ihn spüren, dass die Fans nach einem Weg suchen, die Mannschaft wieder oder weiter lieben zu können. Er konnte sich auch als Trainer beweisen. Kimmich auf der Sechserposition, die überraschende Abwehr-Zusammenstellung mit vier Um-die-Einsneunzig-Kanten – eine Strategie, die den prominent besetzten Gegner beschäftigte. „Passwege zustellen, Stabilität in der Defensive finden, sich nicht entblößen“ – Ziele, die erreicht wurden. „Wir dürfen jetzt aber nicht glauben, dass mit einem Spiel alles vergessen ist“, mahnt Löw. Thomas Müller schließt sich an: „Es war nicht heilsbringend.“
Kein Durchatmen, kein Zurücklehnen. Bei der WM kam nach Schweden und dem Gefühl der Befreiung Südkorea. Und Beklemmung. Am Sonntag geht es in Sinsheim ja schon weiter (20.45 Uhr/RTL): Testspiel gegen Peru. Geht es nicht um Punkte, neigt der Bundestrainer dazu, anders aufzustellen. „Es wird Gelegenheiten für die jungen Spieler geben“, sagt er.
Nicht aber für den gegen Frankreich eingewechselten Leroy Sané. Der DFB meldete, dass er „in Rücksprache mit Joachim Löw aus privaten Gründen das Mannschaftshotel verlassen“ hat.