Weihnachten an Ostern

von Redaktion

Kimmich darf im DFB-Team endlich auf seiner Lieblingsposition agieren – mit Goretzka eine neue deutsche Mitte

VON ANDREAS WERNER

München – Thomas Müller hatte schon lange ausführlich jede Frage beantwortet, doch die Reporter ließen am Donnerstagabend nach dem 0:0 der deutschen Nationalelf gegen Frankreich nicht locker. „Ich hab’ ja schon einen ganz trockenen Mund“, witzelte er zwischendurch, doch er hielt durch. Letzte Frage: Wie fand er Kylian Mbappé? „Der hat einen Motor im Hinterteil wie man ihn selbst gerne hätte“, sagte Müller, „so einen Spieler kannst du nur mit mehreren zusammen bekämpfen.“

Einer der ersten, die gefragt waren, wenn es darum ging, die Franzosen nicht zur Entfaltung zu bringen, war Joshua Kimmich. Der Bayern-Spieler durfte sich auf seiner Lieblingsposition auf der „6“ präsentieren, und er zeigte, dass er eigentlich mal für diesen Bereich ausgebildet wurde. „Er hat das fehlerlos gespielt“, sagte Müller. Löw habe es ihm zwei Tage vor der Partie verraten, dass er eine Versetzung von der rechten Abwehrseite in die Zentrale plane, erzählte der 23-Jährige. „Da konnte ich mir ein Grinsen nicht verkneifen. Das letzte Mal habe ich auf dieser Position vor zweieinhalb oder drei Jahren gespielt.“ Als er sich nach der WM Gedanken über Upgrades gemacht hatte, sei diese Personalie schnell aufgekommen, erzählte Löw, „Joshua hat das in der Jugend gespielt, jetzt hatten wir Zeit, das zu testen. Er hat das gut gelöst.“ Sicher sei er eine Option für die Zukunft.

Die Versetzung ins Mittelfeld sei für Kimmich gewesen, „als würden Weihnachten und Ostern zusammenfallen“, meinte Müller. Und von diesem speziellen Feiertag profitierte dann die gesamte DFB-Auswahl. Sami Khedira wird fürs Erste nicht mehr berücksichtigt, Sebastian Rudy muss sich erst wieder finden – eine Zukunft mit Kimmich auf der „6“ ist plausibel. Der Münchner sorgte für eine stabile Grundausrichtung, er engte die Wege von Mbappé sowie Antoine Griezmann bissig ein und verbuchte zudem die beste Pass- (94,3 Prozent) und Zweikampfquote (77,8) aller Spieler. 100 Ballaktionen wurden gezählt, 88 seiner Pässe kamen an. Und er agierte geschickt, wie null Fouls in seiner Bilanz belegen.

„Für mich war das nicht überraschend, dass er diesen Job so gut gemacht hat, wir haben das schon früher in den Juniorenauswahlmannschaften so gespielt“, meinte Leon Goretzka, der mit seinem Münchner Kollegen eine neue deutsche Mitte bildete. „Ich habe bei den engen Räumen versucht, zwischen den Reihen zu stehen, habe mich dabei selber geopfert“, schilderte Goretzka seine Rolle in der Nähe von Toni Kroos und Müller. „Ich wollte so Platz für die anderen schaffen. Das sieht dann oft so aus, als würde man nicht am Spiel teilnehmen. Aber so konnten wir in der zweiten Hälfte auch wieder Ballbesitz spielen.“

Das Tandem funktionierte gut, und nun lautet die spannende Frage, ob Kimmich auf Dauer versetzt wird. Beim FC Bayern schauen sie natürlich auch zu, und auch hier ergeben sich neue Perspektiven. Javi Martinez, aktuell die erste Wahl auf der „6“, wurde diese Woche 30. In Benjamin Pavard hat man für nächsten Sommer einen neuen Rechtsverteidiger im Visier. Die Tage im Exil auf der Außenbahn könnten für Kimmich gezählt sein. Ostern und Weihnachten an einem Tag in Endlosschleife als Aussicht – der Mann ist zu beneiden.

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