München – Mit 19 hatte Michael Teuber aus Odelzhausen einen schweren Autounfall, seitdem ist er inkomplett querschnittsgelähmt. Dank einer Restfunktion in den Oberschenkeln, spezieller Carbonschienen und seines Hochleistungssportlertrainings kann er sogar auf Berge steigen. Teuber, heute 50, ist der erfolgreichste Paracycler der Welt, in der zu Ende gehenden Saison hat er wieder Titel eingefahren.
-Michael Teuber, die gewohnt erfolgreiche Saison im Paracycling liegt hinter Ihnen. Zehnter WM-Titel im Einzelzeitfahren und zwanzigster insgesamt.
Die Strecke war kurz, 13,6 Kilometer, ich hatte nur zwei Sekunden Vorsprung, es war knapp. Aber es hat gereicht. In den letzten Jahren habe ich mich aufs Zeitfahren fokussiert. Das ist mein absoluter Schwerpunkt.
-Sie sind wieder rumgekommen in der Welt.
Ich dachte, dieses Jahr kommt man mal ohne Interkontinentalreise durch die Saison. War aber nicht. Wir hatten zwei Weltcups im Frühjahr, in Belgien und den Niederlanden, da habe ich mit zwei Siegen die Grundlage im Zeitfahren gelegt. Im August waren wir in Maniago in Italien bei der WM, da hatte ich Gold und einen vierten Platz. Nach ein paar Tagen Pause ging es weiter nach Baie Corneau in Kanada am Sankt-Lorenz-Strom.
-Kanadas Norden – kann man da auch mal links und rechts vom Lenker schauen?
Na ja, na ja. Man fliegt München – Frankfurt – Montreal – Quebec, und schließlich ein paarhundert Kilometer Überlandfahrt. Vor allem ist es eine Riesenreise. Nach dem Rennen kann man mal schauen.
-Die Mühen haben sich gelohnt?
In Baie Corneau habe ich das Zeitfahren deutlicher gewonnen als bei der WM und als Dritter im Straßenrennen sogar den Weltmeister Pierre Senska geschlagen. Durch die besseren Platzierungen habe ich ihn im Gesamtweltcup auch noch überholen und den zum sechsten Mal gewinnen können. Die gute Form der WM, resultierend aus 14 000 Trainingskilometern und Höhentrainingslager, habe ich nach Kanada mitgenommen. Die Vorbereitung war sehr zielgerichtet auf die WM, Kaderzugehörigkeit und Förderung hängen am WM-Abschneiden.
-Sie sind im Januar 50 geworden. Ein Einschnitt?
Die Midlife Crisis hatte ich schon ein paar Jahre vorher. Nach meinem schweren Radunfall 2014 mit einem Oberschenkel-Trümmerbruch war der Zeitpunkt, wo ich den Schalter noch einmal umgelegt habe: Wie kann ich von der Verletzung regenerieren, wie gut kann ich noch sein? Seitdem bin ich noch disziplinierter geworden, bereite mich für die jährliche WM so gezielt vor wie für die Paralympics alle vier Jahre. Ausdauerradsport ist mit dem Alter ziemlich gnädig Die anderen auf den Podium waren 35 und 42 – und ich bin 50 und habe noch einmal Meilensteine gesetzt. So viele WMs gab es im Paracayling ohne mich gar nicht, eine oder zwei waren es vor 1998, meiner ersten. Zehn Titel in einer einzigen Disziplin hat vor mir keiner geschafft. Runde Zahlen also: 50 geworden, 20 Jahre im Geschäft, 20 Titel.
-Tokio in zwei Jahren geht noch?
Wir haben eine noch verbesserte Struktur, da muss man auch mal den Deutschen Behinderten-Sport-Verband, Innenministerium und Behörden loben. Einige Top-Athleten, darunter ich, haben nach Rio 2016 einen Fördervertrag bei der Bundeswehr bekommen. Der soll bis 2020 laufen. Eine tolle Konstellation für mich. Ich bin ja auch bayerischer Landestrainer im Paracycling. Diese Stelle plus meine eigenen Aktivitäten als semiprofessioneller Radsportler mit umfangreichen Trainingsaktivitäten plus die Bundeswehrförderung und meine Altsponsoren – ich kann alles sich um den Radsport drehen lassen, obwohl es nicht nur Genuss, sondern viel Leiden ist. Meine Leistungen dieses Jahr bestätigen mich darin. Drücken wir beim Alter mal ein Auge zu.
-Gibt’s auch wieder Projekte abseits des Radfahrens? Sie haben die höchsten Berge Afrikas und Südamerikas bestiegen – trotz des Handicaps der inkompletten Querschnittslähmung.
Nachdem ich voriges Jahr den Chimborazo in Ecuador (6268 Meter, d. Red.) geknackt habe, ist das für mich momentan nicht das große Thema. Ich bin ja der Typ, der seine Sachen toppen will – aber der Chimborazo war zu krass, als dass ich einfach sagen könnte, ich mache den nächsten Gipfel. Das hält mich aber nicht davon ab, auf den Berg zu gehen. In der Schweiz war ich gerade auf dem Corvatsch (3451 Meter, d. Red,.). Das mache ich mal an einem Tag im Trainingslager mit Steigeisen.
-Kennen Sie die beim Bahnradsport verunglückte und nun querschnittsgelähmte Olympiasiegerin Kristina Vogel persönlich?
Ich kenne sie persönlich und kann nur bestätigen, was alle sagen: Eine freundliche, lebensfrohe Frau, die eine Wahnsinnskraft ausstrahlt. Sie hat schon den einen dramatischen Unfall überwinden müssen (2009 wurde sie von einem Auto angefahren, brach sich einen Brustwirbel, erlitt schwere Schnittwunden, d. Red.) und eine Rückkehr geschafft – aber man sieht an ihrem Beispiel: Du bist dadurch nicht geschützt, es kann so blöd laufen, dass es einen ein zweites Mal erwischt.
-Sie hat dem „Spiegel“ ein Interview gebeben.
Das habe ich natürlich gelesen. Sie macht darin einen recht stabilen Eindruck. Ich hoffe, dass sie sich fängt und ihr Leben gut in die Hand nehmen kann. Es ist ein mittelhoher Querschnitt, da geht einiges an Bauchmuskeln weg, das ist schon eine Herausforderung, sich die Mobilität zu erkämpfen. Sie ist aber eine Rollstuhlfahrerin, die die Arme bewegen kann, sie wird sich ein großes Stück Selbständigkeit und nahezu hundert Prozent Eigenverantwortlichkeit erarbeiten können. Das ist alles dramatisch, klar, aber sie ist ein Mensch, der mit ihrem Willen und Eigenantrieb klarkommen kann.
-Darf man spekulieren, ob sie paralympische Sportlerin werden wird?
Ich muss nicht der Erste sein, der bei ihr an der Tür klingelt. Im Moment ist aber wichtiger, dass das Haus rollstuhlgerecht hergerichtet wird. Umfeld, Familie, vielleicht Familienplanung mit dem Lebensgefährten. Das muss erst mal passen. Doch falls sie eine sportliche Perspektive sucht, werde ich sie von mir aus mal ansprechen, wenn sich die ganzen Wogen geglättet haben. Es gibt bei uns tolle Möglichkeiten für Sport. Vielleicht hat sie noch Lust auf Wettkämpfe und kann sicher im Handbike eingreifen. Ich bin zuversichtlich, dass sie ein Mensch ist, der auch mit einer solchen Verletzung ein Leben in bereichernder Form führen kann.
-Themensprung: In Innsbruck ist in der letzten September-Woche Rad-WM.
Ich habe am gleichen Wochenende selbst das letzte Radrennen der Saison in Prag. Deswegen kann ich nicht dort sein. Das wird aber sicher eine tolle WM, extrem interessant, denn solch eine WM-Strecke gab es noch nie.
-Mit fast 5000 Höhenmetern.
Einige Male über den Iglsberg und am Schluss den noch steileren Höll-Anstieg auf der Nordseite von Innsbruck rauf zum Ziel – hoffentlich sieht man es im Fernsehen gut. Ich komme gerade aus Österreich, habe die World Series of Mountainbiking gewonnen und weiß: Die Österreicher sind Experten, bodenständige Stimmung und Weltereignis zusammenzuführen.
Das Interview führte Günter Klein