Deutschlands Spiel des Jahres

von Redaktion

Heute wird in Nyon die EM 2024 vergeben – DFB-Strategie der letzten Stunden: Fehler vermeiden

Von Günter Klein

München – Es ist alles getan, was zu tun war. Die Aufgabe, die bis zuletzt, bis zur Entscheidung im UEFA-Exekutivkomitee am Donnerstagnachmittag in Nyon am Genfer See, noch zu erfüllen ist, lautet für die deutsche EM-2024-Bewerbungs-Delegation: Bloß keinen Fehler machen.

Am besten, man lässt sich gar nicht erst greifen und taucht ab. Wie DFB-Generalsekretär Friedrich Curtius, der am Wochenende die Zusage zu einer größeren Diskussionsrunde über die deutschen EM-Ausrichtungs-Ambitionen im Deutschlandfunk wieder zurückzog. Der DFB befürchtete eine zu negative Ausrichtung und dass vor allem das Thema Umgang mit Mesut Özil in den Vordergrund gestellt würde. Dann lieber gar nichts sagen. Auch die Proteste der Fanszenen in den Stadien am Dienstag und Mittwoch lässt der DFB unkommentiert, die dort angesprochenen Problematiken (Montagsspiele, Kommerzialisierung) betrachtet er eh als andere Baustellen. Jetzt zählt nur, dass man sich in Sachen 2024 gegen die Türkei, den einzigen Mitbewerber, durchsetzt.

Generalsekretär Curtius hat erfahren müssen, dass jedes Wort im Bewerbungsprozess auf der Goldwaage landen kann. Bei einer Dinner-Veranstaltung Anfang September in München, zu der der DFB etliche ausländische Journalisten (vor allem aus England) und frühere EM-Spieler eingeladen hatte, sprach Curtius kurz über die Türkei. Er hielt sich an den „Code of conduct“, dem Konkurrenten nicht übel nachzureden, und strich sogar freundlich heraus, was für die Türkei sprechen könnte: „Sie ist das Tor zur muslimischen Welt“ und „Wenn die UEFA etwas entwickeln will, dann muss sie die Türkei wählen“. Gängige Argumente, deren Erwähnung allerdings Reinhard Grindel, dem DFB-Präsidenten, bereits missfiel.

Der oberste Mann im Verband ist fleißig, er jagt den 18 möglichen Stimmen aus dem Exekutivkomitee der UEFA hinterher. Für Grindel, seit 2016 im Amt, ist die EM 2024 „ein Leuchtturmprojekt“. Das ist durchaus weitsichtig gedacht: Auch ein großer Verband wie der DFB ist auf Schubkraft für die nächste Generation angewiesen. Auf Zulauf in den Kinder- und Jugendmannschaften, an der Basis, er braucht auch Schiedsrichter. Eine moderne Gesellschaft bietet den Menschen genügend Freizeitalternativen, auch die boomende E-Sport-Branche hat der DFB als Gefahr ausgemacht.

Die Begeisterung, die das Erleben eines Turniers im eigenen Land auslöst, bringt den Fußball für gewöhnlich in Stellung. Ein Erfolg wie 2014 der WM-Gewinn in Brasilien ebenfalls. Doch 2018 hat die Nationalmannschaft sportlich nicht liefern können. Die WM in Russland endete in jeder Hinsicht im Fiasko. Deutschland reagierte mit einem Nationalmannschafts- und DFB-Überdruss. Und reagierte genervt auf die anhaltenden Nachbetrachtungen zum Fall des zurückgetretenen Mesut Özil.

Eine vom DFB vergangene Wochen veröffentlichte Forsa-Umfrage zeigt, dass sich die Stimmung in Deutschland wieder erhellt hat. Demnach befürworten 74 Prozent, dass die Europameisterschaft mit 24 Mannschaften 2024 an zehn deutschen Standorten stattfinden soll. Unter den ausgewiesenermaßen Fußballinteressierten sind es 89 Prozent. Das sind weitaus höhere Zustimmungsraten als bei Umfragen zu möglichen deutschen Olympiabewerbungen, da kommt es bestenfalls zu einer geringen Mehrheit und an betroffenen Orten eher zu einer ablehnenden Grundhaltung.

Reinhard Grindel spricht davon, dass ein Erfolg der deutschen Fußball-Bewerbung „Signale an den gesamten deutschen Sport aussenden“ und ein stärkeres Selbstbewusstsein in anderen Sportarten auslösen könnte. Der DFB-Präsident kämpft eben auch um den Erhalt der eigenen Bedeutung. Keiner seiner Vorgänger war so schnell umstritten wie der Quereinsteiger Grindel. 2018 ist bislang nicht sein Jahr. Im Umgang mit der Özil-Erdogan-Affäre unterliefen ihm handwerkliche Fehler in Serie, mit der ohne Not erfolgten frühen Vertragsverlängerung mit Bundestrainer Joachim Löw machte er den Verband nach der WM handlungsunfähig. In einem an den „Spiegel“ geleakten E-Mail-Verkehr zwischen ihm und Rainer Koch, einem der DFB-Vizepräsidenten, sieht Grindel gar nicht gut aus. Vor allem spricht aus den Mails die Angst, die EM-Bewerbung könnte missglücken.

Für Grindel persönlich geht es um alles. Zwar sind beim DFB erst 2019 wieder Neuwahlen – doch es ist kaum vorstellbar, dass Grindel dann noch von einer Mehrheit getragen würde. Und ob er dann die gut dotierten Zusatzjobs im FIFA-Rat (250 000 Dollar Aufwandsentschädigung im Jahr) und der UEFA-Exekutive (100 000) behalten würde? Wohl eher nicht.

Die Türkei als Konkurrent ist in den vergangenen Monaten gewachsen – trotz ihrer eigenen massiven Probleme in wirtschaftlicher und politischer Hinsicht. Doch der persönliche Einsatz von Präsident Erdogan und seine finanziellen Zusagen an die UEFA (Mietfreiheit der Stadien, steuerliches Entgegenkommen) sind eben klassische Bewerbungs-Trümpfe.

Der DFB wiederum muss vorsichtig sein. Es ist offensichtlich, dass er die WM 2006 nicht auf völlig legalem Weg bekommen hat. Es wird also genau hingeschaut, wie er sich Richtung 2024 verhält. Auch die Funktionäre, die bei der UEFA die Entscheidungen treffen, stehen unter Beobachtung. Anders als die FIFA, die die WM 2026 erstmals von ihrem gesamten Kongress mit über 200 Mitgliedsverbänden hat vergeben lassen, bestimmt beim europäischen Verband ein kleiner Kreis von persönlichen Mitgliedern darüber, wer das nächste zu vergebende Turnier bekommt. Es ist noch das alte anrüchige System, das zum Machtmissbrauch verleitet. Allerdings hat durch die Ermittlungen amerikanischer und Schweizer Justiz im Weltfußball eine Reinigung stattgefunden hat, die auch die UEFA betrifft.

Bei aller Kritik an Reinhard Grindel: Bei ihm gibt es keine Anzeichen dafür, dass er verschlungene Wege gehen könnte. Er ist ein politischer Netzwerker und Lobby-Arbeiter, der aber glaubhaft darlegen kann, dass ihm an Compliance gelegen ist.

Als es an die Auswahl der deutschen EM-Städte ging und unter Beobachtung von Transparency International von 18 auf zehn reduziert werden musste, kam Hannover nicht durch. Es war 2006 WM-Stadt und wäre 2024 einziger niedersächsischer Standort gewesen.

Grindel ist Niedersachse. Er wusste, dass diese Entscheidung in seinem primären Wirkungskreis nicht gut ankommen würde. Er nahm sie trotzdem hin. Fürs große Ganze.

Artikel 7 von 11