Nyon – Die Sitzordnung ließ Rückschlüsse zu, wer welche Position einnahm bei der deutschen Bewerbung. Erste Reihe auf der Innenposition mit dem kürzesten Weg zur Bühne: DFB-Präsident Reinhard Grindel, Gleich daneben: Philipp Lahm. Bisher war er Sonderbotschafter der Bewerbung, das freundliche und bekannte Gesicht, er überreichte Trikots, gab Eiscreme aus und erzählte, was für ein erfüllendes Erlebnis für ihn die Heim-Weltmeisterschaft 2006 gewesen sei.
Mit dem 12:4-Erfolg über die Türkei im Bewerbungsverfahren ist die Rolle von Lahm für die kommenden sechs Jahre festgelegt: Er wird das Organisationskomitee für die Europameisterschaft 2024 anführen. Schon ist die Rede vom „kleinen Kaiser“ oder wahlweise dem „Kaiserlein“ – in Anlehnung an Franz Beckenbauer, der die Bewerbung für 2006 angeführt hatte und danach dem OK vorstand.
Und doch ist es bei Lahm ein wenig anders. Franz Beckenbauers Präsenz war stärker, der Mann, der als Spieler und Trainer Weltmeister geworden war, verstand die Rolle als Funktionär als sein Alterswerk, als Abschluss. Er stand an vorderster Front, führte auch Gespräche mit der deutschen Industrie, als es um die Finanzierung der Bewerbung ging und im zweiten Schritt darum, nationale Sponsoren für das WM-Turnier zu gewinnen. Die DFB-Präsidenten der damaligen Zeit, Gerhard Mayer-Vorfelder und Theo Zwanziger, spielten neben der kaiserlichen Lichtgestalt keine öffentliche Rolle. Bei der EM-Bewerbung 2024 aber ist klar, dass der Mann, der die Arbeit hinter den Kulissen, das politische Netzwerken, betrieb, Reinhard Grindel war. Vom Politiker zum Sportpolitiker.
Der bisweilen vor Zorn flammende Beckenbauer verbiss sich in sein Projekt 2006 in einer Art, die Philipp Lahm fremd ist. Er hat die Bewerbung ja nur flankiert. Wenn der DFB gegen die Türkei gescheitert wäre, hätte man die Niederlage nicht als seine empfunden. Die Schuld wäre auf Grindel gefallen.
Jetzt wird Lahms Rolle größer, „aber das müssen wir erst noch besprechen“, sagt er. Im Tagesgeschäft in einem OK-Büro, das wohl beim DFB in Frankfurt angesiedelt sein wird, kann man sich Lahm nicht vorstellen. Gut ein Jahr nach Beendigung seiner aktiven Laufbahn ist er noch im Privatiers-Modus, er spielt einmal im Monat mit alten Freunden „Socca Five“ und hat zwei Firmen übernommen (Sixtus, Schneekoppe), wofür er Geschäftsführer eingestellt hat, was seine tägliche Präsenz entbehrlich macht. Für Philipp Lahm geht es derzeit auch um Familie und Heimat – als ARD-Experte während der WM ist nicht er in den Sender gefahren, sondern der Sender zu ihm an den Tegernsee. Dass er wie einst Beckenbauer eine Begrüßungstour in alle am Turnier teilnehmenden Länder unternimmt, ist genauso wenig vorstellbar wie Hubschrauberflüge im Juni/Juli 2024, damit er möglichst kein EM-Spiel verpasst.
Da er als OK-Chef eine Position (ohne Stimmrecht) im DFB-Vorstand übernimmt, ist Lahm für die kommenden sechs Jahre geblockt, was seine Tätigkeit im fußballpolitischen Bereich betrifft. Beim FC Bayern wird er bis dahin also nicht in eine Position kommen können.