Wieder hält die Führung nicht

von Redaktion

Erneut bringen sich die Löwen durch eine späte Nachlässigkeit um den möglichen Sieg

VON ULI KELLNER

München – Als der nächste verpasste Sieg amtlich war, kannte Adriano Grimaldi nur eine Richtung: Runter vom Platz, rein in die Kabine. Der Frust des Torjägers war riesig und nachvollziehbar, denn auch das Duell mit Kickers Würzburg folgte jenem Muster, das kein Löwe mehr ertragen kann. Sie schaffen es einfach nicht, diesen „dreckigen Sieg“ einzufahren, den Daniel Bierofka immer fordert. Grimaldi hatte den TSV 1860 wie in Unterhaching in Führung gebracht (62.), die Abwehr wie üblich das 1:1 zugelassen – etwas früher zwar als sonst (84./Skarlatidis), aber das linderte den Schmerz kaum. Erneut nur ein Unentschieden, das für das Heimteam auch deswegen enttäuschend ist, weil die Gäste die letzte halbe Stunde ein Mann weniger waren.

„Mir fehlen die Worte“, haderte Sechser Daniel Wein: „Das ist jetzt das vierte, fünfte, sechste Spiel, wo wir den Sieg einfach so herschenken. Wir spielen in der zweiten Halbzeit gut, gehen mit einem Mann mehr in Führung. Das Spiel darfst du im Leben nicht mehr herschenken.“

Bierofka wird in Hennef die Schulbank drücken, wenn seine Mannschaft an diesem Dienstag aus PR-Gründen ins Hackerzelt geht, doch der Löwen-Trainer wollte kein Spaßverderber sein und hatte bereits am Vortag alkoholhaltige Belohnungen in Aussicht gestellt, abhängig vom Ergebnis. „Wenn wir gewinnen, geht schon ein Radler“, hatte er gesagt und natürlich auch den anderen Fall bedacht, eine Heimniederlage. „Dann dürfen sie vier Mass trinken – das macht die Birne frei“, sagte er und fügte scherzhaft hinzu: „Vier Mass alle zusammen – mit Strohhalm.“

Wiesn-Spiele waren ja selten vergnügungssteuerpflichtig in der 1860-Historie, Siege, ob mit oder ohne Trachtentrikot, eine Seltenheit. Diesmal schienen die Rahmenbedingungen günstiger. Kein Wiesnwetter, kein Wien-Outfit, das von der DFL nur einmal erlaubt worden war (und in einer 1:2-Pleite gegen Wehen mündete). Das Duell mit Würzburg wirkte wie ein ganz gewöhnliches Abendspiel, das allerdings beide Fanlager als Protestkundgebung umdeuteten. „Scheiß Telekom“, stand auf einem Banner im Gästeblock. „Gegen Montagsspiele!“, hieß es etwas vornehmer in der Westkurve. Dazu warfen die Löwen-Fans Tennisbälle aufs Spielfeld, was selbstredend einen Rüffel durch den Stadionsprecher nach sich zog.

Das Spiel selbst war dann nicht so, dass der übertragende Streamingdienst glücklich mit seiner Wahl gewesen sein dürfte. Bierofka hatte seine Elf in derselben taktischen Formation wie beim 1:1 in Unterhaching aufs Feld geschickt (Dreierkette, flexibles Mittelfeld, Doppelspitze), sah sich aber schon nach 30 Minuten zu einer aufrüttelnden Maßnahme gezwungen. Er nahm Efkan Bekiroglu vom Feld, der einen Ball nach dem anderen in die Beine des Gegners gespielt hatte. „Höchststrafe“ hätte man das bei Felix Magath genannt, der mit Hut auf der Tribüne saß. 1860-Coach Bierofka jedoch sprach hinterher von einer taktischen Korrektur.

Mit dem flinken Nico Karger im alten 4-4-2-System bekam 1860 allmählich mehr Zugriff auf das anfangs träge Spiel. Torszenen? Gab es nicht viele vor der Pause. Sascha Mölders schoss Würzburgs Keeper Bätge in die Arme (8.). Auf der anderen Seite erschreckte Skarlatidis die entblößte Löwen-Abwehr mit einem Kopfball über die Latte (30.). Recht fad war’s in Giesing, und dass die erste Halbzeit um drei Minuten verlängert wurde, lag nur daran, dass Bätge sich im Luftduell mit Grimaldi eine blutige Nase geholt hatte und länger behandelt werden musste.

Intensiver wurde das Spiel nach der Pause – mit nun mutigeren Löwen und Würzburgern, die sich selbst dezimierten. Dave Gnaase sprang Herbert Paul seitlich ins Sprunggelenk und flog für diese Attacke zurecht vom Platz (57.). 1860 also die letzte halbe Stunde in Überzahl – und endlich auch mit zielführender Entschlossenheit. Mölders erzwang per Flugkopfball eine Ecke, die Experte Phillipp Steinhart nach dem ersten abgewehrten Ball auf den Kopf von Grimaldi zirkelte. Drin war das Ding – eine Erlösung. Doch nichts fällt den Löwen ja bekanntlich schwerer, als eine Führung über die Zeit zu bringen.

Es kam, wie es derzeit immer kommt. Die Drittliganeulinge verpassten das 2:0 (68./Mölders an die Latte) und stellten sich kurz vor Schluss so ungeschickt im eigenen Strafraum an, dass das 1:1 unausweichlich war. Nicht nur Grimaldi war bedient, auch der Trainer. Bierofka schloss sich Vorredner Wein an: „Mir fehlen die Worte.“ Auf die Wiesn müssen die Spieler heute trotzdem – ohne ihren Trainer und ohne Getränkevorgabe. Ein erneutes Unentschieden war nicht in Bierofkas Konzept vorgesehen.

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