Im Strudel der Rotation

von Redaktion

Nach Wochen voller Siege hat es beim FC Bayern zu brodeln begonnen. Nicht nur die jüngsten Ergebnisse sind ernüchternd. Im Kader wächst bei den ersten Spielern auch die Unzufriedenheit mit ihren persönlichen Einsatzzeiten. Prominentestes Beispiel: James Rodriguez.

VON MARC BEYER

München – Nicht jeder hat es so leicht wie Arjen Robben. Der Mann hat von Natur aus einen schnellen Fuß und lichtes Haar. Wenn er seinen Arbeitsplatz ganz besonders zügig verlassen will, muss er speziell an einer Stelle keinen Zeitverlust fürchten. Duschen geht bei ihm flott. Wenn Robben also in der Vergangenheit nach einem für ihn unerfreulichen Spielverlauf schneller als der Wind das Stadion verließ, war das atmosphärisch oft heikel, aber technisch zumindest nachvollziehbar.

Anders ist es bei James Rodriguez. Die Frisur des Kolumbianers verrät eine gewisse Liebe zum Detail. Jedes Haar sitzt am dafür vorgesehenen Platz. Umso bemerkenswerter – und logistisch anspruchsvoller – war der jähe Aufbruch am Dienstag. Nach dem 1:1 des FC Bayern gegen Ajax Amsterdam verließ der schnelle Offensivmann die Arena exakt elf Minuten nach dem Abpfiff. Fragen beantwortete er keine, aber dass es um seine Laune nicht zum Besten stand, war auch so klar ersichtlich.

Es beginnt gerade zu brodeln bei den Bayern, und nirgendwo zeigt sich das deutlicher als bei James. In guten Zeiten ist er sogar im erlesenen Kader der Roten ein Ausnahmekönner. Noch beim 2:0 in Schalke brillierte er auf eine Weise, die selbst verwöhnte Beobachter entzückte. Zehn Tage später war sein Glanz abrupt verblasst. Er wird in diesen Wochen häufiger geschont, als ihm lieb ist, und reagiert darauf mit unverhohlenem Unverständnis.

Die Egos von Bayern-Spielern zu bändigen, gehört zu den komplizierteren Aufgaben, die ein Trainer haben kann. Es geht gar nicht mal nur um Einsatzzeiten. Es geht auch um Anerkennung, einen Platz in der Teamhierarchie, Präsenz auf dem heimischen Fernsehmarkt und ganz einfach um Eitelkeit. Man will zeigen, was man kann. All dies (und vermutlich noch viel mehr) beschäftigte James am Dienstag.

Zum Politikum wird sein Abgang, weil seine Zukunft bei den Bayern nur vordergründig geklärt ist. Im nächsten Sommer endet das Leihgeschäft mit Real Madrid, und die Bayern können aufgrund einer Kaufoption den Spieler für 42 Millionen Euro verpflichten. Gleichwohl ist immer wieder zu hören, dass James gerne zurück zu den Königlichen wechseln würde, die er 2017 im Groll verließ, weil er sich von Trainer Zinedine Zidane nicht ausreichend gewürdigt fühlte. Diese Sehnsucht beruht auf Gegenseitigkeit. Auch Real ist der Leistungssprung des Kolumbianers nicht verborgen geblieben, zum Beispiel im vergangenen Champions League-Halbfinale. James’ Berater Jorge Mendes soll deswegen regelmäßig auf der Bayern-Geschäftsstelle anrufen, um auszuloten, wie sich eine Rückkehr nach Madrid realisieren ließe.

In dieser eh schon komplizierten Gemengelage wird der sensible Stratege nun auch noch vom Strudel der Rotation erfasst. Erst in zwei von sechs Ligaspielen stand er in der Startelf. Was Trainer Niko Kovac gut und weitsichtig meint, droht bei James ganz anders anzukommen. Wie einige weitere Profis, die vor wenigen Monaten noch unangefochten waren (Mats Hummels, Javi Martinez), findet er sich nun regelmäßig in der Zuschauerrolle wieder. Trainerwechsel sind immer auch ein Moment, in dem sich Gewichte verschieben und Kompetenzen aufs Neue erkämpft werden müssen. Aber, scheint sich James zu denken, wie kann er darum kämpfen, wenn er so wenig spielt?

Letztes Jahr um diese Zeit hat er eine ähnliche Situation aus ganz anderer Perspektive erlebt. Mit der Ankunft von Jupp Heynckes begann der Aufschwung des James Rodriguez. Oft hat der versierte Seelenstreichler Heynckes in den folgenden Monaten erzählt, wie intensiv er sich um seinen Schützling kümmerte und wie viele Gespräche er mit ihm führte. Das verbindende Element zwischen den beiden war die spanische Sprache.

Niko Kovac ist nicht für seine Spanischkenntnisse bekannt und hat ohnehin im Moment ganz andere Sorgen. Er muss die ersten Anflüge von Turbulenzen überstehen und darauf achten, dass die Unruhe nicht weiter wächst. In den vergangenen Wochen hat er alle Spieler, die zuschauen mussten, demonstrativ mit Lob überschüttet. Auch James („Ein toller Spieler“). Das reichte, um die Truppe bei Laune zu halten, weil die Stimmung durch die vielen Siege insgesamt im Lot war.

Nun aber droht es zäher zu werden, und Kovac ist auch pädagogisch gefordert. Als er am Dienstagabend zur Pressekonferenz erschien, war James schon über alle Berge. Auf eine entsprechende Frage teilte der Trainer mit, er habe mit seinem unzufriedenen Star kein Wort gewechselt. Das hatte zu diesem frühen Zeitpunkt, als Enttäuschung und Ernüchterung bei allen Bayern dominierten, aber nichts zu sagen: „Ich habe noch mit gar keinem Spieler gesprochen.“

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