Künstlerpech und leichte Grippe

von Redaktion

EINZELKRITIK Sané als flottes Moped, Holzbein Hummels bestraft, Schulz ein frecher Prellbock

VON ANDREAS WERNER

Paris – Joachim Löw hatte am Tag vor dem Duell mit Frankreich über Halsweh und Gliederschmerzen geklagt, doch die große Frage, die über der Partie beim Weltmeister stand, war ja, ob Fußball-Deutschland nicht unter mehr als ein paar Grippe-Symptomen leidet. Die Diagnose gestern: Vielleicht ist es doch nicht so schlimm. Der Patient wirkt auf dem Weg der Genesung.

Manuel Neuer: Am Vortag war der Torwart in die Offensive gegangen; in einem langen Referat hatte er dargelegt, dass er mitnichten in einer Formkrise sei, sondern sich voll auf der Höhe fühle. Nur habe er das Künstlerpech, dass er sich derzeit selten auszeichnen kann, und so würde über ein paar Wackler mehr als nötig debattiert. Gestern verbrachte er lange einen beschäftigungsarmen Abend, durfte sich dann aber gegen Kylian Mbappé auszeichnen. Beim 1:1 und dem Elfmeter zum 1:2 war er machtlos. Künstlerpech. Note 2

Matthias Ginter: Erhielt nun schon zum dritten Mal seit der WM das Vertrauen, sich als rechter Verteidiger zu etablieren (im vierten Spiel, gegen Peru, lief er links hinten auf) – das dürfte man als Fingerzeig für die nächsten Monate sehen. Der Gladbacher hatte die Riesenchance zum 2:0 und spielte im Großen und Ganzen sehr solide. Note 3

Niklas Süle: Nachdem Jerome Boateng verletzt abgereist war, schlug erwartungsgemäß die Stunde seines Münchner Vereinskollegen. Süle ist ja sowieso auf der Überholspur, bei Bayern wie in der DFB-Auswahl gilt er als Fixpunkt der Zukunft. Gestern war er in einer Situation schneller als der ultraschnelle Mbappé, doch ein anderes Mal entwischte ihm der flinke Franzose. Aber insgesamt eine Partie für die Zukunft. Note 3

Mats Hummels: Der Münchner musste, nachdem er seit Samstag sowieso schon viel berechtigte Kritik einstecken musste, vor der Partie eine Majestätsbeleidigung hinnehmen. Christophe Dugarry, 1998 mit Frankreich zwar Weltmeister aber doch immer ein limitierter Stürmer, sagte über Hummels, er bewege sich „wie auf Holzbeinen“. Der Bayern-Profi bekam gleich nach zehn Minuten einen Vorgeschmack auf sein Abendprogramm: Erst spielte ihm Mbappé einen Knoten in die Beine, Sekunden später klärte der Verteidiger mit entschlossener Grätsche. Dass sein Einsteigen gegen Mbappé mit dem Elfmeter zum 2:1 bestraft wurde, war hart und hatte nichts mit Holzbeinen zu tun. Note 3

Nico Schulz: Der Hoffenheimer ersetzte Jonas Hector – und überraschte mit einem couragierten Auftritt. Schulz spielte so frech, als würde er jede Woche gegen Mbappé auflaufen und nicht in Sinsheim die Linie bearbeiten. Frankreichs Top-Star wich immer wieder genervt von dem Prellbock auf die Gegenseite aus. Einmal setzte Schulz Leroy Sané im gegnerischen 16er per Hacke in Szene – Chapeau! Note 2

Thilo Kehrer: Fand sich überraschend in der Startelf und – noch überraschender – auf der Position des rechten Mittelfeldmanns wieder. In seiner neuen Wahlheimat durfte er bisher noch selten auflaufen, er muss sich erst noch an die Pariser Luft gewöhnen. beim 1:1 ließ er die Flanke zu. Keine Ideallösung. Note 4

Joshua Kimmich: Es ist fast nicht zu glauben, dass Deutschland auf der Sechser-Position oft auf die Arbeiterklasse wie Dieter Eilts oder auch Sami Khedira gesetzt hat. Kimmich setzt neue Maßstäbe als gewiefter Balldieb und -verarbeiter. Er leitete den Vorstoß ein, der zum Elfmeter führte und ordnete das Spiel mit einer Routine, als hätte er nicht seine halbe Profikarriere auf einem Außenposten verbracht. Note 2

Toni Kroos: Gegen die Niederlande abgetaucht, gestern wesentlich präsenter. Beim Elfmeter übernahm er die Verantwortung und verwandelte cool. Keine so starken Pässe wie von Kimmich, aber schon eine gute Leistung. Aufsteigende Tendenz. Note 3

Leroy Sané: Wie gedacht, erwies sich die Hereinnahme des Flitzers als ungemein belebend. Sané holte den Handelfmeter heraus und war auch sonst von Frankreichs Abwehr schwer unter Kontrolle zu bringen. Hummels hatte vor der Partie vor den „Mopeds“ wie Mappé und Antoine Griezmann auf der Gegenseite gewarnt, doch auch Sané ist einer mit viel PS unter der Haube. Gestern hängte er die Mopeds ab. Manchmal noch zu überhastet im Abschluss. Note 2

Timo Werner: Der Stürmer lauerte, fand aber selten in den Kombinationsfluss seiner Kollegen. War aber viel in Bewegung und schaffte wichtige Räume, die seine Kollegen ausnutzten. Note 3

Serge Gnabry: Der Münchner rückte für den glücklosen Mark Uth in die Startelf und wirkte erst einmal deplatziert: Mit der Rückennummer „6“ in der Spitze, das ist ungewöhnlich. Eigentlich ist diese Zahl für den sogenannten Staubsauger vorgesehen, doch der ist ja abgeschafft, dank Kimmich. Gnabry brachte sich in der Entstehung vor dem Elfmeter sinnvoll ein und hatte immer wieder gute Ideen. Note 2

Draxler,Brandt, Müller: ohne Bewertung.

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