München – Das Erste, was einem beim Blick auf Michael Stich auffällt, ist seine Fitness. Für einen Mann, der am heutigen Donnerstag 50 wird, hat er sich prächtig gehalten. Gut, die Schläfen beginnen auch bei ihm gräulich zu schimmern, ein paar Fältchen hat er ebenfalls, aber selbst in kurzen Hosen gibt Stich immer noch eine exzellente Figur ab. Man kann das sehr schön sehen, wenn er in der Öffentlichkeit zum Tennisschläger greift wie zuletzt im Juli in Hamburg gegen seinen alten Kumpel John McEnroe (noch so einer mit flachem Bauch). Nicht jeder seiner Wegbegleiter ist so gut durch die Jahre gekommen.
Und damit ist man dann auch schon irgendwie bei Boris Becker, dem ewigen Widerpart, der stets ganz andere Wege gegangen ist, bis heute. Der Eine wird ja selten ohne den Anderen genannt, wobei: So ganz stimmt das gar nicht. In Becker-Geschichten taucht Stich nur am Rande auf. Umgekehrt ist es hingegen wirklich so, dass die Geschichte erst dann vollständig erzählt ist, wenn das sehr spezielle Verhältnis der beiden hinreichend gewürdigt ist. Eine Antipathie, die vor allem Becker vollkommen unverhohlen auslebte, die sie beide gleichwohl nicht daran hinderte, gemeinsam die Olympische Goldmedaille zu gewinnen und einander nach dem Matchball um den Hals zu fallen, als werde hier die denkbar engste Freundschaft angemessen gekrönt.
Jim Courier, der ehemalige Weltranglistenerste, hat mal den schönen Satz gesagt, wenn die weltbesten Spieler zusammenkämen und allesamt ihr größtes Tennis spielten, würde am Ende Stich das Finale gewinnen. Dieses Lob wurde immer dann zitiert, wenn die Karrierebilanz des Elmshorners zur Sprache kam, die imposant war, aber noch üppiger hätte sein können bei so viel Talent. Er war die Nummer zwei der Welt, gewann 1993 die ATP-WM, 1994 den Davis Cup, sämtliche deutschen Turniere seiner Zeit (München, Hamburg, Halle, Stuttgart). Und vor allem natürlich das denkwürdige Wimbledon-Endspiel 1991, das mit der historischen Fehlleistung des Schiedsrichters endete; „Game, Set and Match Becker.“
Längst hatte der rotblonde Nationalheld den Centre Court als sein Wohnzimmer reklamiert, in das man gefälligst nicht so einfach reinstürmen durfte. Und wenn Becker auch bei der anschließenden Feier im Deutschen Haus, das sich der Verband damals gönnte, demonstrativ Sandwiches servierte, so war selbst das neben aller Selbstkasteiung auch ein subtiler Akt der Feindseligkeit, wie noch viele folgen sollten.
Mit bald drei Jahrzehnten Abstand ist es nicht mehr ganz einfach nachzuvollziehen, was so ein Wimbledonsieg nicht nur mit dem Spieler machte, sondern mit dem ganzen Land. Die deutschen Fans wären durchaus bereit gewesen, Stich mit Haut und Haaren zu vereinnahmen. Bloß spielte der da nicht mit. Er nahm sich die Freiheit, sein eigenes Leben allein für sich zu beanspruchen. Wo Becker tiefe Blicke in seine innersten Abgründe gewährte, ließ Stich sämtliche Voyeure auf eine Weise abprallen, die oft kühl und manchmal schroff wirkte, die man genau so gut aber auch konsequent und authentisch nennen konnte.
Die Folgen bekam Stich immer dann besonders schmerzhaft zu spüren, wenn er gegen Becker vor deutschem Publikum spielte und das sich mit großer Geschlossenheit auf die Seite des Leimeners schlug. Noch heute nimmt das Land fiebrig Anteil, wenn bei Becker eine Beziehung in die Brüche geht oder seine Finanzen in Schieflage geraten. Stich hingegen kommt es zugute, dass er in seinen sportlich besten Jahren die Massen auf Distanz gehalten hat.
Für jemanden, der eine so große Nummer war, ist es bemerkenswert ruhig um ihn geworden. Er lebt noch immer in Hamburg, gründete eine Stiftung und ein Rückenzentrum, investiert in Start-ups und führte das Traditionsturnier am ehrwürdigen Rothenbaum, das er als Spieler selbst gewann, als Turnierdirektor aus einer tiefen Krise. Im Juli hat er nach zehn Jahren Abschied genommen, alles andere als freiwillig. Sein persönliches Abschiedsmatch bestritt er gegen McEnroe, mit dem er 1992 in Wimbledon den Doppel-Titel gewann.
Feiern wird er seinen 50. heute ganz sicher, aber wie diese Feier aussieht, das muss das Land schon ihm überlassen. Michael Stich hat es abgelehnt, öffentlich über seinen Jubeltag zu sprechen.