Paris – Die „L’Equipe“, das fast schon heilige sportliche Barometer der Franzosen, empfing ihre Leser am Tag nach dem 2:1 über Deutschland mit einer Nüchternheit statt Euphorie. „L’un ou l’autré“ stand auf dem Titelblatt in großen Buchstaben, „der eine oder der andere“, in kleinen darunter hieß es, letzte Woche habe Kylian Mbappé den Weltmeister gerettet, nun habe Antoine Griezmann, der zweite Anwärter auf den „Ballon d’Or“, den Ausschlag gegeben. Die Partie im Stade de France sei „lange Zeit schlecht“ gewesen, so das Blatt.
Auch für die Deutschen ließ sich aus dem Zeitungscover einiges herauslesen. Joachim Löw hat eine lehrreiche Tour durch Europas Metropolen hinter sich; angefangen in Berlin über den desaströsen Zwischenstopp Amsterdam bis Paris. Dort lautete das wichtigste Fazit: Deutschland kann schon noch Fußball. Und selbst der vermeintlich enteilte Weltmeister ist immer wieder angewiesen auf die Geniestreiche von Ausnahmekönnern. Die Kluft lässt sich bewältigen, wenn man konsequent an folgenden Baustellen weiter tätig ist.
Personal: Bundestrainer Löw hat in Paris endlich mehr Mut zu seinen Talenten bewiesen. In Zukunft sollte er von seinen verdienten Innenverteidigern Mats Hummels und Jerome Boateng nur noch einen aufstellen; der Platz daneben ist für Niklas Süle reserviert. Und auch Antonio Rüdiger sollte nach überstandener Verletzung eine ernsthafte Option sein. Auf der Außenbahn hat Nico Schulz die Distanz zu Jonas Hector erstaunlich schnell verkürzt. Die Zentrale steht mit Toni Kroos und Joshua Kimmich, vorne sollte das junge Trio Leroy Sané, Serge Gnabry und Timo Werner mehr Einspielmöglichkeiten bekommen.
Hierarchie: Die weltmeisterliche Achse ist auf Manuel Neuer, Mats Hummels und Toni Kroos reduziert, und das ist zukunftsorientiert. Thomas Müller wird immer einen Platz im Kader und bei Formanstieg auch auf dem Platz haben, fürs große Ganze ist der Münchner allemal eine Säule. Seine Versetzung auf die Bank kommentierte er in Paris verständnisvoll, Löw lobte den Bayern, er sei für die Jungen allzeit ein Vorbild. In der Warteschleife stehen noch Marco Reus und Ilkay Gündogan, die Leitplankenrollen einnehmen können. Ob man im Stade de France die Geburt einer neuen Mannschaft erlebt habe, wurde Oliver Bierhoff gefragt. „Ich glaube schon“, antwortete der Nationalmannschaftsmanager.
FC Bayern-Faktor: Löw wird an seinen Münchnern festhalten, was gut so ist. Ein starker Block war immer eine wichtige Basis. Gleichwohl muss der Bundestrainer die Hierarchie öffnen, und ein Boateng in aktueller Verfassung kann keine Hilfe sein. „Wir fahren mit einem guten Gefühl zurück nach München“, sagte Müller, „jedenfalls einem besseren, als wäre schon am Samstag Schluss gewesen.“ Die Krise dauert beim deutschen Rekordmeister an. Aber Löw wird deshalb nicht beginnen, auszusortieren. „Die Einstellung bei uns ist gut.“, findet Müller: „Wir tun alles, um den Bock umzustoßen.“
Abschlussschwäche: Die Deutschen haben ein Wort, an dem jeder Franzose kläglich scheitern würde: Kaltschnäuzigkeit. „Wir können Teams wie Frankreich wehtun, aber noch nicht genug“, sagte Kapitän Neuer. Das Tempo sei gefährlich hoch gewesen, „aber wir belohnen uns nicht“. Bierhoff erinnerte daran, dass die jungen Wirbler in ihren Vereinen „nicht die Kontinuität an Einsätzen haben – da brauchen wir einfach Geduld“. Den drohenden Abstieg aus der Nations League kommentierte Neuer so: „Das ist ein Wettbewerb, da will keiner von uns schlecht platziert sein. Wir haben uns nicht vorgenommen, am Tabellenende zu stehen.“ Der Vorsatz bleibt: unten wieder rauskommen. Dafür braucht man aber die Hilfe der Franzosen gegen die Niederlande – und die Hoffnung: Der eine oder andere wird es schon richten, Mbappé oder Griezmann.