Spaß im Spiegelsaal

von Redaktion

Trotz Niederlage gegen den Weltmeister: Das DFB-Team ist wieder salonfähig

VON ANDREAS WERNER

Paris – Es war nichts mehr los vor dem Stade de France, als sich die letzten Besucher der Partie Frankreich gegen Deutschland wenige Minuten vor Mitternacht in Richtung zuhause aufmachten. Ein paar Menschen nutzten die ungewohnte Ruhe, um die Abdrücke im Zement mal genauer zu inspizieren. Rund um das Oval haben frühere Helden der „Equipe Tricolore“ ihre Füße im Asphalt verewigt. Ganz allein auf der Passage zur Metro stand ein Priester. Schwarze Soutane, französischer Fanschal. Er blickte andächtig auf das noch immer hell erleuchtete Stadion. Ein Geistlicher, der seelenruhig den Freuden des Fußballs frönt, wie passend. Noch vor der Partie hatte man den Eindruck, Joachim Löw bräuchte göttlichen Beistand, um seinen Job zu behalten. Doch das war mal.

Oliver Bierhoff packte das Fazit in einen Satz, der jedem Philosophen Freude bereiten würde. Das 1:2 der DFB-Auswahl sei „trotz des schlechten Ergebnis mit Sicherheit auch ein gutes Ergebnis“ gewesen, fand der Teammanager. Tatsächlich ist es paradox. Die Deutschen kassierten ihre sechste Niederlage in 2018, so eine Bilanz hatte der Verband noch nie – und selbst Gibraltar gewann in diesem Jahr mehr Pflichtspiele. Aber drei Tage nach dem 0:3 gegen die Niederlande hatte sich doch alles wieder gedreht, Pleite hin oder her. Mit dieser deutschen Mannschaft kann man wieder etwas anfangen.

Löw habe bereits in der Nacht zum Sonntag in Amsterdam erklärt, es müsse etwas geschehen, sagte Bierhoff. Er habe für das Duell mit dem Weltmeister Mut und Selbstbewusstsein eingefordert, entsprechend wurde die Startelf auf fünf Positionen verjüngt. So stellt man sich einen Neuanfang vor. Die Franzosen, aktuell das Maß aller Dinge, kamen sich teilweise vor, als hätten sie im Spiegelsaal von Versailles eine Kopie zu Gast. Die Deutschen sind nicht so weit entfernt, salonfähig zu sein. Selten habe eine Niederlage so viel Spaß gemacht, sagte Toni Kroos mit Blick auf die erfrischenden Ballstafetten: „Wir müssen uns jetzt nicht alle erschießen.“

Und auch Löw landete in Paris nicht auf der Guillotine. „Wir empfinden das jetzt nicht als Sieg, aber als gutes Zeichen“, sagte Bierhoff, „man muss eine Entwicklung sehen, dass der Trainer die Mannschaft erreicht – das ist klar gegeben“. Löw habe sich nach der verkorksten WM bewusst entschieden, noch einmal anzupacken, er habe gewusst, dass es harte Arbeit werde – und er sei, so der Teammanager, „sicher der Erste, der zurücksteckt, wenn er merken würde, es geht nicht weiter“. Dass er jetzt aber die richtigen Schlüsse aus dem 0:3 vom Samstag gezogen habe, sei ein weiterer Beweis, dass er noch immer am besten wisse, was zu tun ist. „Gegen die Niederlande hat Esprit gefehlt, den haben die jungen, unverbrauchten Spieler nun reingebracht“, so Bierhoff.

Der Eindruck, es laufe im Team eine Spaltung zwischen alten WM-Helden und frischen Confed Cup-Siegern, wurde in Paris zunächst auch einmal widerlegt. Und im Übrigen von den Protagonisten auch gar nicht groß thematisiert. „Wichtig war, dass man uns das 0:3 von Amsterdam nicht angemerkt hat“, meinte Neuer, „ich glaube, auch die Franzosen waren überrascht von unserem mutigen Auftritt.“ Aus der Mannschaft habe man „nie etwas anderes gehört, als dass wir mit dem Trainer weitermachen wollen“, so der Kapitän: „Er geht seinen Weg, modernen Fußball spielen zu wollen. Jogi entwickelt sich mit uns weiter.“ Hätte man den Priester vor den Toren des Stade de France dazu befragt, was hätte er wohl gesagt? Vermutlich: Amen.

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