Die Kraft des Willens

von Redaktion

Großer Kampf: Kerber wahrt beim WTA-Saisonfinale mit Sieg über Osaka ihre Halbfinalchance

VON DORIS HENKEL

Singapur – Es war ihre 64. Partie in diesem Jahr, Nummer 65 wird garantiert auch noch gespielt, und nach den jüngsten Ereignissen sieht es mit Angelique Kerbers Aussichten wieder besser aus, dass es noch ein 66. geben könnte. Nach ihrem ersten Erfolg in Singapur in diesem Jahr (6:4, 5:7, 6:4 gegen Naomi Osaka) hat sie es in der Hand, mit einem weiteren am Freitag gegen die Amerikanerin Sloane Stephens im Halbfinale des großen Showdowns der besten acht Tennisspielerinnen zu landen. Nach dem Sieg der Amerikanerin im zweiten Spiel des Tages gegen Kiki Bertens aus den Niederlanden (7:6, 2:6, 6:3) ist die Konstellation in der roten Gruppe völlig offen: Keine der vier ist schon für das Halbfinale qualifiziert, und keine ist schon ausgeschieden.

In den zweieinhalb Stunden gegen Osaka zeigte sich, dass Kerber aus der Niederlage zwei Tage zuvor gegen Bertens die richtigen Schlüsse gezogen hatte. Sie gehört ja zu jenen Menschen, die schnell an sich zweifeln, aber ein Spiel zu verlieren, heißt ja nicht, alles falsch gemacht zu haben. Gegen die Niederländerin hatte sie stark begonnen, am Ende aber viele Chancen nicht genutzt. „Ich habe versucht, aus diesem ersten Match zu lernen“, sagte Kerber gestern. „Dass ich auf meiner Spur bleiben muss, wenn ich weiß, dass ich den richtigen Ball gespielt habe, egal, ob der aus oder drin ist.“

Es gab in der Begegnung mit Osaka genügend Gelegenheiten, in denen sie diese Form von zweckgebundenem Optimismus gebrauchen konnte. Wieder gewann sie den ersten Satz, wieder verlor sie den zweiten, aber im dritten wirkte sie kämpferischer und zuversichtlicher als zwei Tage zuvor. Gelegentlich sah man Osaka die Anstrengungen der ereignisreichen Wochen seit ihrem Titelgewinn bei den US Open an, doch die junge Japanerin riss sich immer wieder zusammen und landete mit Kerber in diversen ebenso sehenswerten wie langen Ballwechseln. Und zum guten Schluss präsentierte die Wimbledonsiegerin noch mal eine Kollektion ihrer bemerkenswerten Fähigkeiten in der Defensive. Beim Ballwechsel, mit dem das Spiel endete, gab Osaka immer mehr Gas, aber Kerber ging jedes Tempo mit, erhöhte ihrerseits den Druck und machte keinen Fehler. Das tat die Gegnerin, und so endete die 64. Partie der Nummer eins des Turniers in diesem Jahr.

Da wir gerade bei Zahlen und Positionen sind: Simona Halep wird auch nach dem Ende der WTA Finals die Nummer eins des Frauentennis sein, und es steht ganz gut um Kerbers Chance, Titelverteidigerin Caroline Wozniacki zu überholen und als Nummer zwei in die Winterpause zu gehen. Vor einem Jahr hatte sie die Saison auf Rang 21 beendet – auch daran sieht man, was 2018 alles passiert ist. Was ihr gegen Osaka an sich selbst am besten gefallen hatte? „Dass ich drangeblieben bin. Dass ich an mich geglaubt und und jeden Ball erlaufen habe. Ich wollte das Match in die eigene Hand nehmen, denn nur so kann ich gewinnen.“

Fortsetzung folgt morgen gegen Sloane Stephen. Kerbers bisherige Bilanz gegen die Siegerin der US Open von 2017 ist nicht berauschend – von fünf Begegnungen verlor sie vier, die letzten drei sehr deutlich in zwei Sätzen, darunter auch die einzige in diesem Jahr im Viertelfinale von Miami. Ja, gegen Stephens sei es zuletzt nicht gut gelaufen, gibt sie zu, aber der Plan sei klar: „Geduldig spielen, aber auch aggressiv und gut bewegen. Gegen solche Spielerinnen gibt’s nicht viele Chancen.“ Aber unabhängig davon, ob Kerber nach Nummer 65 noch 66 spielen wird, sie will vor allem eines: „Noch mal das Beste aus mir rausholen – egal, wie weit das hier geht. Ich möchte mit einem guten Gefühl aufhören.“ So wie vor zwei Jahren an gleicher Stelle.

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