Luzern – „Epische Schweizer“, „magischer Abend“, „wahnsinniges Comeback“: Nach dem Spektakel von Luzern wurden die Eidgenossen in ganz Europa mit Lobeshymnen gefeiert – und selbst in der Heimat änderte sich die Wahrnehmung innerhalb von Stunden gravierend. „Dieses Team hat Moral und Charakter“, bejubelte der Blick eine Mannschaft, an der die Boulevardzeitung zuvor noch „Leidenschaft“ und „Einstellung“ kritisiert hatte.
„Es ist ein Moment zum Genießen“, sagte Matchwinner Haris Seferovic, der mit einem Dreierpack der Mann des Abends war. Kapitän Granit Xhaka zeigte sich nach dem fesselnden 5:2 (3:2) gegen gedemütigte Belgier ebenfalls rundum begeistert: „Dass das Jahr so endet, ist einfach geil.“
Schnell hatten die Schweizer 0:2 zurückgelegen, sich dann aber auf höchst erstaunliche Weise aufgebäumt und dem WM-Dritten eine echte Abfuhr erteilt. „Was für eine Ohrfeige! Was ging da bloß in euren Köpfen vor, liebe Teufel?“, fragte die belgische Zeitung La Derniere Heure. Das angesehene Het Nieuwsblad sah einen „peinlichen Abgang“, der vor allem durch „Arroganz“ zustande gekommen sei. Zudem war es nicht nur eine schmerzhafte Niederlage, sie verwehrte den Belgiern auch die Qualifikation für das Finalturnier der Nations League. Dort spielen in Portugal vom 5. bis 9. Juni nun die Schweizer, die mit ihrem Triumph in Gruppe A2 ein turbulentes Länderspieljahr erfolgreich abschlossen.
„Wir haben mit Mut und Herz gespielt. Es war eine große mentale Leistung“, sagte Trainer Vladimir Petkovic. Eine durchwachsene WM, die emotional aufgeladene Diskussion um die Doppeladler-Geste, die ebenso hart geführte Debatte um Spieler mit Doppelstaatsbürgerschaft und wenige Tage vor dem Belgien-Spiel die Blamage gegen Katar (0:1): Der Schweizer Fußball kämpfte am Sonntagabend auch gegen eine Reihe von negativen Einflüssen der letzten Monate.
Seferovic taugte in Luzern als Symbolfigur dafür. Vor einem Jahr war der Ex-Frankfurter noch gnadenlos niedergepfiffen worden, hatte Tränen in den Augen, nachdem er im WM-Playoff-Spiel gegen Nordirland zahlreiche Chancen ausgelassen hatte. Nun erhielt der Profi von Benfica Lissabon für seine Treffer (31., 44., 84.) Sonderapplaus. Es sei nach dem Rückstand ein „perfektes Match“ gewesen, sagte er. Ricardo Rodriguez (26., Elfmeter) und der Gladbacher Nico Elvedi (62.) erzielten die weiteren Treffer für entfesselte Schweizer.
Der Beginn war dagegen desaströs. Thorgan Hazard (2., 17.) traf doppelt, doch der Gladbacher sagte: „Wir haben wahrscheinlich zu gut begonnen.“ Während die Schweiz aufdrehte, angeführt von Seferovic und Xherdan Shaqiri, der dreimal vorbereitete, stellte der Weltranglistenerste das Spiel mehr oder weniger ein.
Die Luzerner Zeitung schrieb von einem „Abend der großen Gefühle“. Selten habe man die „Nati so gut gesehen“. Auch Petkovic blickt nun entspannteren Zeiten entgegen. Der Coach war arg in der Kritik gestanden, ehe seine Elf ihr wahres Potenzial zeigte. „Wir haben bestätigt, welche Qualitäten wir besitzen“, sagte Seferovic.