Zwischen Spritze und Spitze

von Redaktion

Rodel-Olympiasiegerin Natalie Geisenberger hat einen turbulenten Sommer hinter sich

VON MARC BEYER

München – Auf den ersten Blick bleibt alles beim Alten. Natalie Geisenberger wird auch im kommenden Winter als Natalie Geisenberger in den Ergebnislisten erscheinen, sie wird weder Scheer noch Scheer-Geisenberger heißen, ungeachtet ihrer Hochzeit im Juni. Vermutlich wird sie in den Klassements dann auch wieder ziemlich weit oben stehen. Der Auftakt war zumindest schon mal vielversprechend. Am Wochenende hat die Miesbacher Rennrodlerin in Winterberg ihren sechsten nationalen Meistertitel gefeiert und damit eine Saison standesgemäß eröffnet, von der sie neulich noch sagte, sie hoffe, „dass der Start halbwegs verläuft“.

Untertreibungen sind für Leistungssportler eine leichte Übung. Sie helfen, öffentliche Erwartungen zu reduzieren und sich Druck vom Leib zu halten. Andererseits: Welchen Druck sollte man noch verspüren, wenn man wie Geisenberger (30) vier Olympische Goldmedaillen eingefahren hat, sieben Weltmeistertitel und zuletzt sechsmal in Folge den Weltcup gewann? Die schwierigsten Kurven hat sie in ihrer Karriere bereits erfolgreich gemeistert: „Alles, was ich wollte, habe ich mehrfach erreicht.“

Trotzdem ist so ein Saisonbeginn immer auch ein bisschen ein Aufbruch ins Ungewisse und eine Deutsche Meisterschaft ein erster Härtetest, gerade in der deutschen Domäne Frauenrodeln. Geisenbergers Zurückhaltung war dann auch weder gespielt noch kokett. Einen Sommer wie diesmal hat sie in ihrer Karriere zuvor noch nicht erlebt. Und das lag gar nicht so sehr an der Hochzeit.

In sportlicher Hinsicht prägnanter war jene Phase, als sie wegen einer hartnäckigen Rückenverletzung ausgiebig behandelt werden musste. „Sehr viele Spritzen ins Steißbein“ habe sie bekommen, um die Nervenentzündung in den Griff zu bekommen. Bis es so weit war, musste sie sich in Geduld üben. „Und Warten ist nicht meine große Stärke.“

Selbst eine routinierte Athletin wie Geisenberger, die am Wochenende in Innsbruck-Igls in ihre 13. Weltcup-Saison startet, hat auf diese Weise noch eine ganz neue Erfahrung gemacht. Es war ihre allererste ernsthafte Verletzung. Zum Vergleich: Tatjana Hüfner, die große Konkurrentin der letzten Jahre, hat von Achillessehne bis Rücken allerhand durchgemacht und gerade erst eine Pause hinter sich, weil bei einem Trainingssturz eine Rippe gebrochen war.

So gesehen ist Natalie Geisenberger all die Jahre ziemlich gut durch den Eiskanal gekommen. Und wenn es sich schon nicht vermeiden lässt, dass man selbst mal eine Pause einlegen muss, „dann besser nach Olympia als davor“. Aber während ihrer Spritzenkur hat sie eben auch die Zeit gehabt, sich grundsätzliche Gedanken über ihre Karriereplanung zu machen. Und deshalb ist die Perspektive vor dem 13. Weltcupwinter doch eine andere als vor dem siebten oder zwölften.

Am Saisonende, sagt Geisenberger, werde sie sich die zwei entscheidenden Fragen stellen: „Macht es noch Spaß? Und macht der Körper noch mit?“ Beide Fragen sind untrennbar miteinander verbunden. Der Spaß würde arg leiden, wenn der Sport nur noch unter Schmerzen möglich wäre. Geisenberger findet, das müsse sie sich nicht antun, dafür liegen zu viele erfolgreiche Jahre hinter ihr und zu viel Zukunft vor ihr: „Ich will nicht mit Anfang 30 körperlich ein Wrack sein.“

Es kann natürlich auch alles ganz anders kommen. Wenn der Athletenkörper nun wieder Ruhe gibt, spricht nichts dagegen, einfach weiterzumachen. „Ob ein, zwei oder vier Jahre“, kann sie noch nicht sagen, will sie auch nicht. „Solange es mir supergut geht, werde ich nicht aufhören.“

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