Der Deckeldraufmacher

von Redaktion

BASKETBALL In den wichtigen Momenten geht der Ball beim FC Bayern zu Derrick Williams

München – Der Basketballtrainer Raoul Korner wusste genau, was der FC Bayern vorhatte. Nur konnte er es nicht verhindern. Er musste aus der ersten Reihe mitansehen, wie Derrick Williams den Ball bekam, wie die vier übrigen Bayern-Spieler sich an der Dreierlinie verteilten, wie Williams mit der linken Hand dribbelte, sich mit seinem 100-Plus-Kilo-Körper gegen den Bayreuther De’Mon Brooks stemmte, dann aber absprang, den Ball von der linken in die rechte Hand wechselte und ihn sehr gefühlvoll ins Ringnetz stupste. Mit dieser Einzelaktion 35 Sekunden vor Spielende wendete Williams, 27, am Sonntag die erste Bundesligapleite des FC Bayern ab – und rettete sein Team in die Verlängerung, wo die Bayern dann im 14. Ligaspiel den 14. Sieg vollendeten (101:95). Hinterher sagte Korner, der Trainer der tapferen Bayreuther dann: „Wie man gesehen hat, kann man nicht viel machen.“

Als Korner ein paar Minuten später im Presseraum der Münchner Halle saß, versuchte er zu erklären, was er sich für die finalen Sekunden der regulären Spielzeit überlegt hatte. Er habe natürlich schon geahnt, dass die Bayern den Ball am Ende Williams geben wollten. Also stellte er Brooks gegen ihn auf, der 2,01 Meter misst und ebenfalls mehr als 100 Kilo wiegt. Doch der eine US-Basketballer konnte den anderen nicht stoppen – „wie wahrscheinlich 99 Prozent aller Basketballer in Europa“, wie Korner bemerkte. „Der Bursche war zweiter Pick in der ersten Runde des NBA-Drafts, das hat schon seinen Grund.“

Jetzt spielt der Bursche aber beim FC Bayern – und er hat eine ganz besondere Fähigkeit aus der NBA (428 Spiele absolvierte er dort) nach München importiert, die seinem neuen Club gerade sehr hilft. In den finalen Minuten einer Partie, wenn die klassischen Spielzüge oft nicht mehr greifen und sich die Trainer auf die Eins-gegen-Eins-Kunst ihrer besten Spieler verlassen, stellt Williams oft Dinge mit dem Ball an, die in Europa nur wenige beherrschen. Das geht dann so wie gegen Bayreuth: Seine vier Mitspieler machen den Weg frei und lassen Williams einfach mal machen. In den USA nennt man so einen Spieler einen „Closer“, einer, der den Deckel aufs Spiel macht.

Nun wäre es viel zu einfach, Basketball, diesen unheimlich komplexen Sport, auf die Eins-gegen-Eins-Momente in den letzten Sekunden eines Spiels zu reduzieren. Mit Blick auf die zurückliegenden Jahre lässt sich aber festhalten: Die Bayern gewannen immer dann Titel, wenn sie so einen Deckeldraufmacher hatten.

Als sie 2014 die Meisterschaft holten, war es Malcolm Delaney, der US-Spielmacher, der später trotz körperlicher Unterlegenheit zwei Jahre in der NBA verbrachte. Im Doublejahr 2018 war es der US- Guard Jared Cunningham, der direkt aus der NBA nach München wechselte. Anders als Williams taten sich Delaney und Cunningham mit ihrer Geschwindigkeit und ihrem präzisen Wurf hervor. Der Vorteil in dieser Saison aber ist: Die Bayern haben den kräftigen Williams – und um ihn herum meistens vier Spieler, die sehr präzise werfen können. CHRISTOPHER MELTZER

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