München – Für Franziska Preuß waren die vergangenen Jahre auch eine Suche nach sich selbst. „Sie wollte wieder die alte Franzi werden“, erzählte Frauen-Bundestrainer Kristian Mehringer. Die Skijägerin vom SC Haag hat schwere Zeiten hinter sich, mit gesundheitlichen Problemen, Verletzungen, seelischen Tiefs. Und irgendwann war da auch ihre Unbekümmertheit, die sie einst auszeichnete, auf der Strecke geblieben. Doch beim Massenstart in Ruhpolding präsentierte sich Franziska Preuß sogar noch stärker wie die Franzi von einst. Dank vier Null-Fehler-Serien und einem entschlossenen Finish feierte sie den ersten Weltcup-Serie ihrer Karriere. Mehringer: „Das war ein Befreiungsschlag für Franzi.“
Die Zolloberwachtmeisterin aus Halbaching ist erst 24 Jahre alt – und damit die Jüngste im Team. Das ist insofern überraschend, als Franziska Preuß in ihrer Laufbahn schon so viel Höhen und Tiefen hinter sich hat, wie es sonst oft in einem ganzen Sportlerleben nicht vorkommt. Da war zunächst die ganz junge Franzi, die als Teenager drei Goldmedaillen bei den Olympischen Jugend-Spielen errang. Mit knapp 21 Jahren wurde sie Staffel-Weltmeisterin und Vize-Weltmeisterin im Massenstart.
Doch Preuß, das Ausnahmetalent, lernte früh auch die Schattenseiten ihres Metiers kennen. Die Olympischen Spiele 2014 in Sotschi blieben ihr eher als Albtraum in Erinnerung, mit vielen Tränen und einem Sturz, der die Medaillenchancen der Staffel zunichte machte. Richtig ins Schlingern geriet ihre Karriere aufgrund gesundheitlicher Probleme. Erst bremste sie 2016 ein Haarriss im Steißbein, dann folgte eine Serie von Erkrankungen, die eine schwere Operation der Nebenhöhlen erforderlich machten. „Franzi war ganz unten. Sie hatte schwer zu knabbern“, sagte Mehringer.
Die Serie von Rückschlägen ließ Preuß an sich selber zweifeln: „Ich habe schon manchmal ans Aufhören gedacht.“ Als großer Rückhalt in dunklen Stunden erwies sich ihre Familie und ihr Freund, der Biathlet Simon Schempp. „Die haben mir immer wieder gesagt: Was du schon mit 19 geschafft hast, das steckt immer noch in dir“, erzählte sie, „da konnte ich gar nicht anders als weiterzumachen.“ Und dann gab es noch ein Motiv: „Ich mag Biathlon wahnsinnig gern.“
Die vergangene Saison lief noch eher holprig. „Ich hab immer wieder eins auf den Deckel bekommen.“ Lange musste sie um die Olympia-Qualifikation bangen. Doch in Pyeongchang überraschte sie mit einem 4. Platz im Einzel. In dieser Saison verspürte Franziska Preuß urplötzlich einen enormen inneren Auftrieb: „Ich habe mich so gefühlt, wie ich mich schon einmal gefühlt habe.“ Mehr und mehr wurde deutlich, dass die lange vermisste Lockerheit zurückkehrte. Noch am Tag vor dem Ruhpoldinger Massenstart sagte sie auf salopp bayerische Art: „Ich merk’, dass ich wieder ein bisserl das Leck-mich-am-Arsch-Gefühl hab’.“
Davon hat letztlich auch das gesamte Team profitiert. Denn nach einigen Fehlschlägen in diesem Winter sind die deutschen Biathletinnen und vor allem das neue Trainergespann Kristian Mehringer/Florian Steirer (beide 37) in die Schusslinie der Kritiker geraten. „Das war sicher keine leichte Zeit für uns“, bekannte Mehringer. Der erste Saisonsieg kam nun wie gerufen. „Wir sind alle erleichtert“, sagte der Coach: „Dass wir den Erfolg vor heimischer Kulisse feiern konnten, war natürlich das i-Tüpfelchen. Wir konnten endlich zeigen, dass wir auf dem richtigen Weg sind.“
Erst recht gilt das für Preuß. Mehringer meinte: „Jetzt hat’s im Kopf geschnackelt. Jetzt ist sie wieder die Franzi, die wir vor vier, fünf Jahren erlebt haben.“ Im Hinblick auf die WM in Östersund erklärte Mehringer: „Ich traue Franzi schon zu, dass sie um eine WM-Medaille in den Einzelrennen mitlaufen kann.“
Während Franziska Preuß ihr Formtief hinter sich gelassen hat, ist ihr Lebensgefährte Simon Schempp in einem ebensolchen gelandet. Der Massenstart-Weltmeister verzichtete auf einen Start im heimischen Ruhpolding, um sich mit zusätzlichen Trainingseinheiten zu trimmen. Die Weltcup-Rennen verfolgte er vom Sofa aus. „Für Simon ist das natürlich kein schönes Gefühl“, erzählte Franziska Preuß, „aber ich schaue schon, dass ich ihn wieder aufbaue und die Energie weitergeben kann. Das kriegen wir schon hin.“ Schließlich ist Franziska Preuß ja inzwischen eine Spezialistin für solche Krisen.