Winterberg – Natalie Geisenberger und der Eiskanal in Winterberg mochten sich über viele Jahre nicht. „Das war für mich ein echtes Trauma, in der Jugend bin ich oft gestürzt“, sagt die Rodlerin aus Miesbach. Spätestens am Wochenende ist daraus Liebe geworden. Am Freitag gewann die 30-Jährige den Titel im Sprint. Ihren ersten. Und am Samstag holte sie sich Gold im klassischen Rennen über zwei Läufe ab. Ihr viertes. „Dass mir das wieder gelungen ist, dass es mir gelungen ist, mich wieder auf den Punkt vorzubereiten, das ist einfach mega“, sagte die viermalige Olympiasiegerin. Zum WM-Abschluss gewann sie gestern mit Felix Loch sowie den Doppelsitzern Toni Eggert/Sascha Benecken noch Bronze in der Teamstaffel (Gold holte Russland, Silber ging an Österreich).
Wie abgebrüht Natalie Geisenberger ist, zeigte sich am Samstag vor ihrer ersten Fahrt. Plötzlich brach sie ihre Startvorbereitungen ab. „Die Ampel war noch rot, die Zeit ist aber schon gelaufen“, erklärte sie den kurzen Aufreger, „das ist schon komisch, wenn man den Bügel noch in der Hand hält“. Erst als der beschlagene Sensor der Zeitmessung wieder gesäubert war, konnte die Favoritin in die 1293 Meter lange Eisröhre starten. „Ich bin selbst überrascht, wie wenig mich das aus dem Konzept gebracht hat“, sagte sie.
Genauso gelassen beobachtet Geisenberger, welche Veränderungen es momentan im deutschen Team gibt. Ihre Dauerkonkurrentin Tatjana Hüfner hat in Winterberg ihre letzte WM bestritten. Die 35-Jährige, 2010 Olympiasiegerin, trat als Titelverteidigerin an und wurde Zehnte.
„Den Verlauf der WM habe ich mir anders vorgestellt“, sagte die Thüringerin. An ihre Stelle ist Julia Taubitz getreten. Die 22-Jährige aus dem sächsischen Annaberg, die seit Sommer in Oberhof trainiert, kam zweimal auf Platz zwei. „Silber im Sprint war schon ziemlich cool, aber jetzt so richtig Vize-Weltmeisterin zu sein, ist toll“, jubelte sie. „Julia ist unser Diamant, den man noch ein bisschen schleifen kann“, beschreibt Geisenberger das Potenzial ihrer Kollegin.
Top ist auf alle Fälle ihr Material, um das sich ihr Freund Toni Eggert kümmert. An welchen Stellen sie sich noch verbessern muss, weiß Taubitz am besten. Zunächst ist dies der Start. Da handelt sie sich einen Rückstand ein, den sie durch perfekte Fahrten wieder aufholen muss. „Das ist mein kleines Minus-pünktchen.“
Ihre zweite Baustelle ist ihr Gewicht. Bei 1,75 Meter Größe wiegt sie 63 Kilogramm. Eigentlich ein ideales Verhältnis, nicht aber beim Rodeln. „Man sieht schon, dass Gewicht sehr sehr viel bringt“, sagt sie. Deshalb darf sie sich eine Gewichtsweste umschnallen. Zehn Kilo ist die schwer. Geisenberger bringt bei 1,83 Meter 85 Kilo auf die Waage.
Die Bayerin erinnert die Konstellation mit Taubitz an ihren eigenen Aufstieg vor einem Jahrzehnt. „Als ich von den Junioren gekommen bin, war die Silke Kraushaar noch aktiv“, erzählt sie. Und die war auch Olympiasiegerin. Und dann gab’s Tatjana Hüfner. „Wo die beiden waren, da wollte ich unbedingt hin.“ Das hat sie geschafft. Mit viermal Gold bei Olympischen Spielen, 47 Siegen in Weltcuprennen und sechs Erfolgen im Gesamt-Weltcup hat sie ihre Vorgängerinnen überflügelt. Nun ist sie diejenige, die gejagt wird. „Ich schaue nach hinten und sehe: Oho, die Julia kommt mir immer näher.“
Zwei Weltcuprennen hat die Aufsteigerin in diesem Winter schon gewonnen, momentan belegt sie Platz zwei im Weltcup. „Das würde ich auch noch gerne behalten“, sagt sie forsch. Vor ihr liegt: Natalie Geisenberger.