München – Im Sommer hat Nihad Djedovic auf seinem Instagram-Kanal ein Video veröffentlicht. Es zeigt ihn in einer Sporthalle in Sarajevo, wo er einen Medizinball mit Wucht gegen eine Wand schleudert, ihn wieder fängt – und nebenbei noch im Ausfallschritt verharrt, um die Übung zusätzlich zu verkomplizieren. Aus der Halle in Sarajevo, rund 100 Kilometer von seiner Geburtsstadt Visegrad entfernt, hat Djedovic viele Bilder und Videos versendet. Man sieht ihn mit Trainern, mit Geräten, mit Gewichten. Das erste Foto hat er damals am 14. Juli ins Internet gestellt – 35 Tage vor dem Trainingsauftakt des FC Bayern Basketball.
Jetzt, sechseinhalb Monate später, muss man sich nur eine Zahl ansehen, um zu verstehen, warum Djedovic, 29, sich im Juli freiwillig gequält hat. In der Bundesliga und der Euroleague hat er zusammengezählt 827 Minuten und 32 Sekunden auf Spitzenniveau gespielt. Das sind aber nur die gefilterten Minuten, in der Trainingshalle kommen viele dazu, auch jene in Flugzeugen, Bussen oder Hotels sollte man nicht unterschätzen. Der Fall Djedovic belegt, wie ein Spitzensportler seinen Körper an die Grenzen treibt. Er hat das aber kommen sehen. Vor zwei Wochen, gerade hatte er mit der Mannschaft im Audi Dome trainiert, hat Djedovic gesagt: „Ich habe mich vorbereitet, weil ich wusste, dass es eine schwierige Saison wird.“ Und in diesen anstrengendsten Monaten seiner Karriere spielt er nicht nur so viel, sondern auch so gut wie nie.
Man kann das an den Statistiken ablesen. Beim FC Bayern hat nur Derrick Williams, der Neuankömmling aus der NBA, mehr Punkte eingesammelt als jene 403 von Djedovic (ca. 11,2 pro Partie). Man kann auch mit jenen Menschen reden, die so gut wie jeden Tag mit ihm zu tun haben. Dejan Radonjic, der Bayern-Trainer aus Montenegro, der sich ein Lob nicht so leicht entlocken lässt, sagt: „Er ist sehr, sehr professionell und spielt in dieser Saison sehr konstant.“ So etwas sagt er selten.
Vor etwa zehn Monaten haben die Bayern Radonjic angestellt und es fällt seither nicht schwer, jenen Einfluss zu erkennen, den Radonjic, der Defensivfanatiker, auf Djedovic, den 1,99-Meter-Flügelspieler, hat. Es hat dem Trainer schon immer gefallen, wie Djedovic sich in der Verteidigung reingehängt hat. Nur erklärt das nicht, warum Radonjic mehr aus ihm herausgeholt hat als die zwei berühmten Trainer vor ihm: Aleksandar Djordjevic und Svetislav Pesic? Vielleicht hat es damit zu tun, dass Djedovic gereift ist, vielleicht, dass er früher oft verletzt war, vielleicht aber auch damit, wie Radonjic ihn einsetzt. Er vertraut ihm im Angriff oft den Ball an, lässt ihn Spielzüge einleiten und Entscheidungen treffen. In diesen Momenten gibt er ihm viele Freiheiten, ermutigt ihn in dem, was er schon immer gut kann: mit schnellen Schritten an den Verteidigern vorbeidribbeln und den Ball in den Korb legen. „Er hat etwas gesehen, was ich machen kann“, sagt Djedovic. „ Er hat mir eine Position gegeben, in der ich mich wohlfühle und in der ich meinen besten Basketball spiele.“ Man muss mit forschen Prognosen ja stets vorsichtig sein, aber: Es wäre in dieser Saison wohl nicht vermessen, Djedovic in der Bundesliga mit dem MVP-Award zu belohnen.
Das Erstaunliche an der Geschichte des Basketballers Nihad Djedovic aber ist es, dass er für seinen Verein, den FC Bayern, als Identifikationsfigur vielleicht noch wertvoller ist als als Sportler. Klar, das hängt zusammen. Doch in einer Liga, in der viele Profis jährlich den Verein wechseln, haben sich die Bayern nach einem Spieler wie Djedovic gesehnt, der vor fünfeinhalb Jahren angekommen und bis heute geblieben ist, der sich im Sommer freiwillig quält, der Rekorde bricht – beim FC Bayern jene für die meisten Spiele und die meisten Punkte –, den die Fans mögen. Und der Sätze sagt wie diesen: „Ich spiele mit Liebe für diesen Verein.“
Am Ende der Saison läuft Djedovic’ Vertrag aus. Er würde gerne bleiben. Wie gesagt: Mit Prognosen muss man vorsichtig sein. Dass Nihad Djedovic den FC Bayern verlässt, scheint aber ausgeschlossen.