München – Jetzt, wo alles vorbei ist, lohnt es sich, noch einmal zurück zu blicken auf die Zeit, als alles begann. Nicht viel mehr als ein Jahr ist es her, dass Sandro Wagner von der TSG Hoffenheim zum FC Bayern wechselte. Einen „guten Transfer“, nannte der damalige Trainer Jupp Heynckes die Personalie, verbunden mit dem ausdrücklichen Hinweis, man müsse sie „vom Wirtschaftlichen und Sportlichen her“ bewerten. Übersetzt heißt das, dass man eine gewisse Qualität für eine gewisse Summe (rund zwölf Millionen Euro) erworben habe. Aber vielleicht hat Wagner damals auch nicht genau hingehört.
Es war jedenfalls immer klar, dass der gebürtige Münchner in allererster Linie als Entlastung für Robert Lewandowski während der anstrengenden und terminreichen Frühlingszeit gedacht war. Auch Wagner verwies gerne auf die „Stellenausschreibung“ im Bayern-Sturm. Aber das Engagement schmeichelte nicht nur seinem Ego, sondern es befeuerte wenige Monate vor der WM auch seinen Ehrgeiz in einem Maße, das irgendwann nicht mehr gesund war.
Am deutlichsten ist das vielleicht Mitte April geworden, nach einem 5:1 über Borussia Mönchengladbach, zu dem Wagner zwei Treffer beisteuerte. Als er anschließend wieder mal auf seine WM-Aussichten angesprochen wurde, hatte er genug. „Irgendwie nervt es langsam, das Thema“, brummte er den Reportern entgegen, „ihr fragt den Müller und den Hummels doch auch nicht ständig.“ In dieser Kategorie wähnte er sich. Seite an Seite mit zwei Weltmeistern.
Gespräche mit Sandro Wagner sind immer interessant und sympathisch gewesen. Er ist ein intelligenter Mensch, dessen unverstellte Ehrlichkeit eine seiner besten Eigenschaften bedeutet und gleichzeitig oft sein größtes Problem war. Wo andere sich vornehm zurückhielten, redete er ungehemmt drauflos, ohne Rücksicht auf Verluste, selbst wenn er seinem öffentlichen Ansehen erheblichen Schaden zufügte. So war es vor drei Jahren, als er Fußballer für tendenziell unterbezahlt hielt, oder letztes Jahr, als er sich zum besten deutschen Stürmer erklärte, an dem allein schon wegen seiner Klasse kein WM-Weg vorbei führe (was sich zu seinem Entsetzen als Trugschluss erwies). Dass er nach dem verlorenen DFB-Pokalfinale die Medaille wegwarf, war auch kein Geniestreich. Dass es ein Fan war, in dessen Richtung er sie beförderte, kam dafür an der Basis wieder ganz gut an.
Die Karriere des Sandro Wagner hat viele Tiefs erlebt, aber auch einige späte Hochs (Darmstadt, Hoffenheim) und zum Ende seines Wirkens in Deutschland ein Engagement bei den Bayern. Zurecht kann er darauf hinweisen, dass er in den ersten Monaten eine prima Rolle spielte. Es war zwar kühn, von der WM zu träumen, aber völlig grundlos war der Optimismus des letztlich achtmaligen Nationalspielers auch nicht.
Zu diesem besseren Teil seiner Münchner Geschichte gehört allerdings auch, dass die Bayern sich damals über Monate in einer sagenhaften Verfassung befanden, mit freundlicher Strenge angeleitet von Heynckes, der ein wahrer Meister darin war, bei jedem Spieler den richtigen Ton zu treffen und die Seele zu streicheln. Wagner war ein vorbildlicher Lewandowski-Vertreter. Er profitierte aber auch von den exzellenten Rahmenbedingungen.
Diese Saison ist vieles anders, nicht nur auf der Trainerbank. Unter Niko Kovac haben die Bayern ihre Sonderstellung eingebüßt, und auch die Seelenstreichelei ist nicht mehr so wichtig. Sandro Wagner hat einen Bedeutungsverlust erlitten, wie ihn – aus vollkommen anderen Gründen – ansonsten nur Sven Ulreich erlebte.
Gestern hat der Stürmer den Verein verlassen und sich dem chinesischen Club Tianjin Teda angeschlossen, wo er in zwei Jahren angeblich 15 Millionen Euro netto verdient. Das Gehalt eines Weltmeisters. Es ist eine letzte Genugtuung für den Mann mit dem kuriosen Lebenslauf und dem kolossalen Ego.
Was der Wechsel für den FC Bayern bedeutet, muss sich dagegen erst noch zeigen. Im März, April, wenn die wichtigen Spiele anstehen. Robert Lewandowski, der nun einzige Mittelstürmer im Kader, sollte dann auf gar keinen Fall müde sein.
Bayern hat nur noch einen Mittelstürmer