Are – Felix Neureuther, 34, hat sich entschieden, bei der WM in Are nur ein Minimal-Programm zu bestreiten – der Slalom am Sonntag zum Abschluss der Titelkämpfe wird sein einziges Rennen hier sein – und höchstwahrscheinlich auch sein letztes bei einem Großereignis. Nach einer schwierigen Comeback-Saison spricht er über seine Fehler in jungen Jahren.
Sie sind vor ein paar Tagen in Are angekommen. Wie geht es Ihnen körperlich?
Ich kann in der Früh wieder normal aus dem Bett steigen. Das war nach den letzten Rennen in Schladming nicht so, da war es wirklich schwer. Aber jetzt ist alles gut. Das Knie zwickt nicht mehr, die Oberschenkelmuskulatur springt wieder an, ich brauche keine Schiene und kein Tape mehr. Ich funktioniere wieder als Athlet und nicht als fahrendes Wrack.
Und das Material, mit dem Sie im Januar noch gehadert hatten?
Ich glaube, dass es hier in Are nicht so entscheidend sein wird, ob du diesen oder jenen Ski nimmst. Die Verhältnisse ändern sich hier sehr schnell, deshalb weiß keiner, was wirklich auf einen zukommt. Mein Servicemann und ich haben deshalb gesagt, wir greifen auf das Altbewährte zurück, also auf das, was in den vergangenen Jahren auch funktioniert hat.
Sie sind nicht der älteste Slalomläufer. Julien Lizeroux ist 39, Andre Myhrer und Manfred Mölgg sind 36. Unterhalten Sie sich über Ihre körperlichen Befindlichkeiten?
Ja, schon, aber die anderen scheinen alle ganz fit zu sein. Tatsächlich kostet der Skisport viel Kraft. Dein Körper kommt ans Limit, vor allem, wenn du schon so viele Verletzungen hattest wie ich. Dann fällt es dir nicht mehr so leicht, von oben bis unten zu attackieren. Du nimmst die Grenzsituationen nicht mehr ganz so gerne in Kauf, weil du weißt, was die Konsequenzen sein können. Natürlich stehst du mit 20 anders am Start und denkst dir, Feuer frei, komme, was wolle.
Allerdings gewannen Gold bei Großereignissen zuletzt oft Slalomfahrer jenseits der 30. Mario Matt bei Olympia 2014, Jean-Baptiste Grange bei der WM 2015 und Andre Myhrer bei Olympia 2018. Ist Erfahrung wichtiger als Unbekümmertheit?
Ich glaube schon, dass die Erfahrung sehr viel ausmacht, und bei Großereignissen ist es eine ganz spezielle Situation. Als Junger ist die Gefahr riesengroß, dass du komplett überdrehst oder zu verkrampfen beginnst.
War dies so beim jungen Felix Neureuther? Zum Beispiel in Are 2007, als Sie auf Medaillenkurs liegend im zweiten Lauf ausgeschieden sind?
Natürlich. Damals wollte ich die Welt zerreißen. Das war auch in Bormio zwei Jahre davor so. In Val d’Isere und Garmisch-Partenkirchen danach war es das andere Extrem, weil ich gemerkt habe, mit der Teufel-komm-raus-Methode geht es nicht. Erst danach habe ich das richtige Mittelmaß gefunden.
Was war ausschlaggebend?
Die Heim-WM 2011 war für mich der Wendepunkt, da habe ich gesagt, so etwas wird mir nie wieder passieren. Damals habe ich mich vollkommen isoliert von der Außenwelt und nur noch trainiert, trainiert, trainiert. Ich konnte das gar nicht genießen. An Garmisch habe ich deshalb keine positiven Erinnerungen. In Schladming habe ich dann alles aufgesaugt. Ich bin da als Topfavorit zusammen mit Marcel angereist, die Drucksituation war ja wahnsinnig groß. Aber ich habe es einfach genossen, als Favorit am Start stehen zu dürfen.
Was haben Sie da anders gemacht?
Genau das Gegenteil von dem in Garmisch. Ich habe mich mit Fans unterhalten und bin mit unserem Pressesprecher zwischen den beiden Slalom-Durchgängen zu den Brasilianern, zum Iraner und zu sämtlichen Läufern aus Nationen, die nichts mit dem Skisport zu tun haben. Ich habe Fotos mit denen gemacht, dabei wollten die eigentlich eines mit mir machen. Bei der Siegerehrung habe ich vom Podest Richtung Tribüne, da standen alle Exoten und haben mir zugewinkt.
Marcel Hirscher schottet sich noch immer ab. Er ist hier erst zwei Tage vor seinem ersten Rennen angereist.
Der eine funktioniert so, der andere so. Es gibt viele Wege, entscheidend ist nur, dass du den richtigen Weg für dich erkennst und ihn dementsprechend umsetzen kannst.
Ist diese Situation, in der Sie sich im Moment befinden, mit irgendetwas in Ihrer Karriere vergleichbar?
In so einer Situation war ich vor einer Weltmeisterschaft vielleicht noch nicht. Ich glaube, ich hatte noch nie so eine schwierige Vorbereitung – und ich hatte in meinem Leben schon viele schlechte Vorbereitungen. Wenn man die körperliche Verfassung sieht, in der ich mich befinde, ist es eigentlich noch ganz gut gelaufen. Aber man wächst immer an der Herausforderung, und wenn sie maximal schwer ist, ist es umso schöner. Die Herausforderung in Are ist sehr groß. Ich bin bereit, sie anzunehmen.
Was ist dann der Vorteil eines jungen Slalomfahrers wie Clement Noel?
Dass du dir nullkommanull Gedanken über deinen Körper machst, weil dir nichts weh tut. Du probierst Dinge aus, die ein Älterer gar nicht mehr machen kann.
Haben Sie Beispiele?
Wenn du weißt, in einer bestimmten Position zwickt der Rücken, dann gehst du einfach nicht mehr in diese Position. Oder du machst dir an einem Geländeübergang Gedanken, sagst dir, da muss ich ein bisschen von hinten kommen, um schon die Richtung zu haben. Ein Junger überlegt nicht, er fährt gnadenlos und wenn er dann auch technisch schon so weit ist wie Noel, dann hat er natürlich Vorteile.
Wenn Sie noch einmal 21 wären, was würden Sie als Skirennfahrer anders machen?
Zum Beispiel würde ich früher die Skifirma wechseln, also früher auf Nordica wechseln. Ich würde auch wesentlich mehr auf mich achten, mich besser ernähren und nicht mehr alles ausprobieren. Wenn ich mir überlege, mit welchem Tempo ich früher mit dem Rad den Berg runtergefahren bin. Ich habe so viel riskiert, mein ganzes Leben lang. Wenn die Frage war, wer als erstes irgendwo herunterspringt, war klar, dass ich als erstes springe.
Was hat sich im Skirennsport sei Ihrem Debüt vor gut 16 Jahren verändert?
Die Jungs sind heute sehr viel reifer mit 18, 19, als ich es damals war. Sie wurden schon sehr früh, sehr professionell und individuell gefördert. Im Weltcup sind ein paar Läufer dabei, die sind Jahrgang 2000, aber schon perfekt ausgebildet. Ich war damals im Skiclub, das war der ganz normale Werdegang. Vielleicht wäre es auch damals schon möglich gewesen, in ein Skiinternat zu gehen, aber das wäre nicht mein Weg gewesen. Der Konkurrenzkampf war früher größer, weil es mehr Skifahrer gegeben hat, aber die einzelnen Sportler, die jetzt so nachkommen, haben schon in jungen Jahren eine sehr hohe Qualität und sind auch körperlich schon sehr weit.
Haben Sie mit Are noch eine Rechnung offen nach der verpassten Medaille 2007?
Was heißt Rechnung offen? Ich freue mich einfach. Es ist ein schöner Hang, einer zum Attackieren. Er liegt mir, ich bin im Weltcup in Are mal Zweiter geworden, ganz knapp hinter Marcel Hirscher. Es wird sicher ein sehr knappes Rennen werden.
Sind Sie überzeugt, ein Wörtchen mitreden zu können?
Da bin ich fest davon überzeugt. Ich weiß, dass ich nach wie vor noch schnell Ski fahren kann. Ich muss es einfach am Tag X abrufen.
Wird der Ausgang des WM-Slaloms einen Einfluss auf Ihre Entscheidung haben, ob Sie weiterfahren oder nicht?
Nein. Es spielen viele Faktoren ein Rolle, ob ich weiterfahren werde oder nicht. Die Entscheidung hängt nicht von einem Rennen ab.
Interview: Elisabeth Schlammerl