ZUSCHAUER

Als Menschen noch auf Bäume stiegen

von Redaktion

Wenn man sich in Sportbücher vertieft, die frühere Zeiten beleuchten, kann man sich nur wundern: Was für Massen vor Jahrzehnten die großen Veranstaltungen anzogen.

Zum Beispiel 1934: der deutsche Boxkampf zwischen Max Schmeling und Walter Neusel. Schauplatz: die Motocross-Bahn in Hamburg-Lokstedt. Es kamen 102 000 Menschen. Bis heute Europarekord fürs Boxen.

Oder das erste deutsche Nachkriegs-Fußballländerspiel. Vor 115 000 im Neckarstadion in Stuttgart. Gar an die 200 000 sollen im Maracana in Rio de Janeiro gewesen sein, als die Brasilianer bei ihrer WM 1950 gegen Uruguay verloren.

Es gab früher wenig an unterhaltender Konkurrenz, die Leute verlustierten sich beim Sport, es bot ihnen die Alltagsflucht. Und die Stadien waren riesig, hatten überwiegend Stehplatzbereiche. Man drängte sich rein und zusammen. Es gibt Bilddokumente von Bundesligaspielen aus den 60er- und 70er-Jahren (wie unten stehendes aus Duisburg): Da wurde halt auch die Bäume hochgeklettert.

Die Einlasskontrollen waren vielleicht auch eher oberflächlich. Oder es wurde ein Stadion einfach mal gestürmt. Wie 1973 an Himmelfahrt das Münchner Olympiastadion beim Regionalspiel zwischen TSV 1860 und dem FC Augsburg mit Italien-Rückkehrer Helmut Haller (1:1). Mindestens 90 000 sollen im damals neuen Stadion gewesen sein; die keine Karte hatten, kletterten über die Zäune. Es gab Verletzte.

Im Eishockey wurde das Fassungsvermögen von Stadien auch liberal ausgelegt, wenn krachende Duelle anstanden. Am Füssener Kobelhang soll es in den 60erJahren Partien vor 15 000 gegeben haben. Man stand einfach den Hang hoch.

Die Stadionkapazitäten wurden immer weiter gesenkt mit den Jahren und den aufkommenden Sicherheits- und Brandschutzbestimmungen.

Heute sind Stadien Arenen und Sitzlandschaften, und die Einlasssysteme lassen es nicht mehr zu, dass sich jemand einfach reindrückt.

Alles hat seine Ordnung und seinen Komfort. Schöne neue Welt. Aber auch ein bisschen fad. GÜNTER KLEIN

Artikel 4 von 11