Von Neureuther zu Hirscher

von Redaktion

SKI ALPIN Schlierseer Martin Auracher gehört zum persönlichen Team des Superstars

VON JULIA PAWLOVSKY

Schliersee/Åre – Die Skination Österreich wartete vor dem Slalom der Herren noch immer auf die erste Goldmedaille bei den Alpinen Weltmeisterschaften in Åre (Schweden). Vor dem Riesenslalom am Freitag lagen der ganze Druck und all die Erwartungen auf Marcel Hirscher, mal wieder. Der Salzburger sollte es richten, mal wieder. Dieses Mal lieferte der 29-Jährige nicht, grippegeschwächt wurde er nur Zweiter. Doch kein anderer Athlet im Skizirkus bringt seit Jahren dermaßen konstant Ergebnisse. Hirscher ist der Erste, der sieben Mal den Gesamtweltcup gewonnen hat – und das in Folge. Kein anderer Skifahrer verfügt über eine derart mentale Stärke. Beim Nachtslalom von Schladming, dem letztem Rennen vor der WM, war Hirscher nicht unbedingt der Favorit. Die beiden Weltcup-Slaloms zuvor gewann der junge Franzose Clément Noël (21). Auf der Planai, vor 45 000 frenetischen Zuschauern und einem rot-weiß-roten Fahnenmeer, führte Hirscher nach dem ersten Durchgang aber schon mit 0,99 Sekunden. Im zweiten legte er einen Traumlauf hin und gewann mit sagenhaften 1,21 Sekunden Vorsprung. Damit das möglich ist, arbeitet er seit diesem Sommer mit einem eigenen Team. Ein Teil davon ist der Schlierseer Physiotherapeut, Heilpraktiker und Osteopath Martin „Mascht“ Auracher.

Seit rund sieben Jahren ist Hirscher regelmäßig im Osteozentrum am Schliersee zu Gast. Zustande kam der Kontakt über Hirschers Kumpel Felix Neureuther. Zu Beginn der Skisaison hat der Salzburger Auracher nun als persönlichen Osteopathen engagiert. „Er ist im Sommer mit seinem Trainer Mike Pircher gekommen und hat gefragt, ob wir das ausprobieren können“, erzählt Auracher. Hirscher wurde im vergangenen Oktober zum ersten Mal Vater und mochte fortan nicht mehr alles dem Sport unterordnen. „Er will als Vater so viel wie möglich daheim sein und seine Frau unterstützen“, sagt Auracher. Hirscher trainiert nun meist zu Hause und reist erst spät zu den Rennen, wenn möglich am selben Tag. „Das ist für ihn die beste Lösung.“ Auch nach Åre flogen Hirscher und sein Team erst am Mittwoch, am Sonntag nach dem Slalom geht es schon wieder zurück.

„Marcel wollte sein Betreuungsumfeld ändern“, erklärt Auracher. Dieses besteht nun neben Trainer Pircher und Pressesprecher Stefan Illek aus zwei Serviceleuten, einem Masseur, einem Physiotherapeuten und Auracher. „Ich bin nur für den osteopathischen Bereich zuständig“, sagt der 56-Jährige.

Dass ein Deutscher einen Österreicher betreut, war vor ein paar Jahren noch undenkbar. Zumal das Osteozentrum offizielles Therapiezentrum der Deutschen Ski-Nationalmannschaft ist. Doch die Zeiten sind vorbei. Es kam im Ski-Weltcup zur Klima-Erwärmung, sagt Auracher, der beinahe selbst Profi geworden wäre. Bis in den B-Kader schaffte es der Fischbachauer seinerzeit. Hirscher ist auch nicht der einzige Nicht-DSV-Athlet im Osteozentrum. Unter anderem sind der Schweizer Beat Feuz und der Südtiroler Christof Innerhofer regelmäßig zu Gast.

Der österreichische Skiverband (ÖSV) aber ist noch mal ein Fall für sich. Präsident Peter Schröcksnadel führt ein strenges Regiment. Als 2015 Anna Veith (damals noch Fenninger) für den deutschen Autokonzern Mercedes Benz und nicht für ÖSV-Teamsponsor Audi warb, kam es zum Beinahe-Zerwürfnis mit der Super-G-Olympiasiegern von Sotschi. Schröcksnadel forderte von Veith die sofortige Trennung von ihrem deutschen Manager Klaus Kärcher. Nach einer öffentlichen Schlammschlacht vermarktet seitdem der ÖSV die zweimalige Gesamtweltcup-Siegerin.

Bei Hirscher liegen die Dinge anders. „Er hat vom ÖSV alle Freiheiten“, sagt Auracher. „Die Zusammenarbeit ist ganz offiziell.“ Hirscher zahlt es mit Erfolgen zurück. Auf insgesamt 68 Weltcup-Siege bringt es der 29-Jährige inzwischen. Damit übertraf er im Dezember Österreichs Jahrhundertsportlerin Annemarie Moser-Pröll, die 62 Mal gewann. Auracher aber wollte vorher unbedingt eine Sache geklärt wissen: Was sagt Felix Neureuther dazu? Der Partenkirchner, über den der Kontakt ja erst zustande kam, hatte kein Problem damit, schließlich behandelt ihn Auracher weiter. „Das war nie ein Thema, die beiden sind befreundet.“ Der 56-Jährige steht Hirscher an den Renntagen zur Verfügung, wenn er ihn braucht. Dazwischen ist Zeit für Neureuther. „Der Marcel ist da voll relaxt, das läuft gut.“

Der Aufwand an den Renntagen ist hoch. Auracher behandelt Hirscher mittlerweile vor und nach den Läufen. „Das macht sonst keiner.“ Der Salzburger betreibt aber auch einen Aufwand wie kein Zweiter. Vielleicht muss er das. Neureuther wurde sein Talent in die Wiege gelegt. „Felix ist ein Künstler“, sagt Auracher. „Der hat dieses Skigefühl.“ Da macht es nichts, wenn der 34-Jährige mal ein paar Tage nicht trainiert. Daher traut ihm Auracher auch eine Medaille zu. „Wenn er einen guten Tag hat, ist der Felix immer gefährlich.“

Hirscher ist ein Arbeitstier. Tagelang testet er Material, ändert zwischen erstem und zweitem Durchgang schnell noch mal das Setup, wenn es sein muss. Er wählt immer die direkte Linie, setzt seine Schwünge mit brachialer Gewalt und hat den Skisport in den vergangenen Jahren mit seiner kraftvollen Fahrweise revolutioniert. „Was der vom Körperlichen und vom Mentalen her abliefert, das ist so energieraubend. Der ist danach fertig“, sagt Auracher. „Da müssen wir schauen, dass er das die ganze Saison über hinkriegt.“ Vor allem in dieser speziellen. „Früher hat er mittags zwei Stunden geschlafen, jetzt schreit das Kind“, sagt er. „Das ist vom Körperlichen her nicht ganz einfach.“ Und Hirscher wird in zwei Wochen 30.

Mehr noch beeindruckt Auracher Hirschers mentale Stärke. Vergangenen Sommer stellte sich die Frage nach dessen Zukunft. „Er hat jetzt sieben Gesamtweltcup-Kugeln“, sagt Auracher. „Da hat er zu mir gesagt: Was soll noch kommen? Eine Steigerung geht nicht, es geht nur noch bergab.“ Seit Jahren sitzt ihm der Norweger Henrik Kristoffersen im Nacken, nun drücken junge Fahrer wie Daniel Yule (Schweiz) und eben der Franzose Noël nach. „Die attackieren von allen Seiten.“ Hinzu kommt der Erwartungsdruck. „Es verändert sich das eigene Anspruchsniveau“, sagt Auracher. „Dann ist ein fünfter Platz eine Enttäuschung.“ Nicht zuletzt erwartet die Nation nichts anderes als Siege. „In Österreich kennen von acht Millionen sieben Millionen Marcel Hirscher. Der kann nicht mal zur Tankstelle, ohne dass ihn fünf Leute ansprechen.“ Auch das zehrt.

Daher der Gedanke mit dem eigenen Team. „Ich muss alle Kräfte bündeln, damit ich so gut bleibe, wie ich bin“, berichtet Auracher von dem Gespräch im Sommer in Schliersee. Und die Mannschaft funktioniert. Hirscher fuhr im Dezember seinen 14. Weltcup-Sieg im Kalenderjahr 2018 ein und brach damit einen über 40 Jahre alten Rekord von Ingemar Stenmark. Der Schwede kam 1977 auf 13 Siege. Nachträglich wurde Hirscher dann noch der aberkannte Sieg von Stefan Luitz in Beaver Creek zugesprochen. „Alle im Team arbeiten hochprofessionell“, sagt Auracher. „Der Umgang ist respektvoll. Auch die Serviceleute sind nicht die Buddler im Keller.“ Selbst Auracher als Nicht-Österreicher fühlt sich willkommen. „Wenn wir zum Frühstück kommen, grüßen mich auch die anderen ÖSV-Fahrer“, sagt er und lacht. Sogar mit Papa Ferdinand (63), ständiger Begleiter von Marcel Hirscher, kommt er gut aus.

Auracher ist sich sicher: Hätte es mit dem neuen Team nicht funktioniert, Hirscher wäre heute wohl nicht in Åre. „Er ist ein Perfektionist. Dann hätte er vielleicht aufgehört.“ Und Österreich hätte am Sonntag im Slalom nicht die Chance auf Gold. Auracher ist überzeugt, dass Hirscher die Erwartungen erfüllen wird, wieder mal. „Der Marcel schafft das.“

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