Lizenz zum Träumen

von Redaktion

Die Münchnerin Emily Bessoir gilt als eines der größten europäischen Basketball-Talente. Die NBA hat sie sogar zu einem Nachwuchs-Camp eingeladen. Während ihre männlichen Kollegen auf die große Profi-Karriere hoffen, möchte sie vor allem eines: in den USA studieren.

VON ANDREAS MAYR

München – Es ist etwas völlig Normales, von der NBA zu träumen. Jeder junge Basketballer hofft und bangt. Wer es unter die besten 400 Spieler dieser Welt schafft, den erwarten Millionen. Das Einstiegsgehalt in der Nordamerikanischen Profiliga beträgt etwas mehr als 800 000 Dollar im Jahr. Als Mädchen lohnt sich das Träumen nicht. In der Frauenliga WNBA sammeln sich zwar die Basketballerinnen mit den größten Fertigkeiten. Doch die verdienen so wenig (im Schnitt 70 000 Dollar pro Jahr), dass Ex-Präsidentin Lisa Borders noch im Sommer über den „großen Sexismus“ im amerikanischen Sport schimpfte.

Emily Bessoir ist Deutschlands größtes Talent. Es gibt Scouts, die sie für Europas Beste im Jahrgang 2001 halten. Obwohl sie die Lizenz zum Träumen besitzt, wendet sie sich ganz und gar handfesten Dingen zu. Ihr Abitur möchte sie 2020 in München machen. Danach geht es ans College in die USA – Basketball und Studium in Kombination. „Ich will studieren, ich will einen Abschluss“, betont sie. Auf den Sport alleine könne man nicht vertrauen. Eine Verletzung, und alles ist vorbei.

Als erste Deutsche hat sie die NBA voriges Jahr zu ihrem Nachwuchs-Camp „Basketball without Borders“ (BWB) eingeladen. Gemeinsam mit dem Weltverband FIBA versammelt die Profiliga im Rahmen ihres All-Star-Wochenendes die talentiertesten Jugendspieler der Welt. 2018 flog Bessoir nach Los Angeles. Ihr Onkel Bob führte sie durch die Stadt. Sie traf NBA-Legenden wie Dikembe Mutombo (der Riese aus dem Kongo) oder Gary Payton. Die Nominierung empfand die Münchnerin als riesige Überraschung.

In diesem Jahr hatte sie eine Vorahnung. So viele Erfolge lassen sich nicht ignorieren. Die 1,93 Meter große Flügelspielerin führte den Heimatverein TS Jahn München zur Deutschen U18-Meisterschaft. Ihr Trainer Armin Sperber setzte sie aber fast nur in den Playoffs ein, weil die Jugendliga die 17-Jährige unterfordert. In der Zweiten Liga, in der sie die Fans schon mit 15 ins All-Star-Team gewählt haben, verpassten die Jahn-Frauen erst im Finale den Aufstieg in die Bundesliga. Mit der U18-Nationalmannschaft gewann Bessoir zudem EM-Gold gegen Spanien und besiegte ein Trauma. In den Jahren zuvor hatte sie die Endspiele mit Tragweite noch verloren.

All diese Eindrücke haben ihr die Nervosität genommen. Und sie dienten als Empfehlung für den zweiten Ausflug zum BWB, den sie viel entspannter anging. Mit ihrem Vater Billy, der früher für den FC Bayern und Nördlingen auflief, reiste sie zwei Tage früher als die übrigen 62 Talente nach Charlotte. Ihre Tante wohnt dort. Die beiden verbachten einen Tag zusammen.

Die Nachwuchsbasketballer verfolgten in Charlotte den Drei-Punkte-Wettbewerb der NBA-Allstars und den Dunk-Contest von Plätzen unter dem Hallendach. Emily konnte mit Festus Ezeli sprechen, den sie „mega-inspirierend“ fand. Der nigerianische 2,11-Meter-Riese war 2015 mit den Golden State Warriors Meister geworden.

Es waren viele Eindrücke, die sie nach drei Tagen Training in den USA mit nach München genommen hat. Die Hinweise und Ratschläge der Coaches, aber auch die Erkenntnis, das nicht alle Basketball wie die Europäer spielen. In Afrika und Südamerika setzen sie weniger auf Struktur, mehr auf Athletik. Beim großen Turnier zum BWB-Abschluss kam es zum Zusammenstoß der Systeme. Bessoirs Mannschaft gewann zwar. Trotzdem habe sie der Wettstreit ein wenig frustriert. Einige Teamkolleginnen – jede ein Star in ihrem Heimatland – wollten sich vor den Augen der Trainer besonders beweisen. Doch Bessoir hat man in München eine andere Art Basketball gelehrt. „Im Team macht es so viel mehr Spaß.“

Am Sonntag tritt sie mit den Jahn-Frauen in Bamberg beim Zweiten an. Ein Sieg im Top-Duell der Zweiten Liga würde das Playoff-Ticket sichern. Sie muss aber auch den Schulstoff nachholen, den sie in der vergangenen Woche verpasst hat. So sieht der Alltag der Emily Bessoir aus. Viel Zeit zum Träumen bleibt da nicht.

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