„Die Athleten sind furchtlos und dumm“

von Redaktion

Doping-Experte Fritz Sörgel bezeichnet die Affäre von Seefeld als neue Dimension

VON MATHIAS MÜLLER

München – Glaubt man der „Tiroler Tageszeitung“, steckte Max Hauke, österreichischer Skilangläufer, am Mittwoch die Blutdopingkanüle im Arm, als die Fahnder sein Zimmer betraten und ihn als einen der fünf überführten Athleten verhafteten. Selbst Professor Fritz Sörgel, pharmakologischer Experte und langjähriger Dopinggegner, findet dieses Szenario skurril. „Man muss sich das einmal vor Augen führen. Der Athlet hat die Nadel noch im Arm stecken, und die Ermittler kommen zur Tür herein. Herrlich“, sagt Sörgel und gesteht: „Eine meiner Thesen ist jetzt widerlegt. Ich dachte nämlich nicht, dass jemand noch so dumm ist, sich während des Wettkampfs zu dopen.“

Wie es scheint, ist dem angesprochenen Österreicher, der sein EPO mutmaßlich über den deutschen Mediziner und Ex-Gerolsteiner-Teamarzt Mark Schmidt bezog, aber nichts zu blöd: Noch im Januar sagte der 26-Jährige über das Dopinggeständnis seines Landsmanns Johannes Dürr, das alles ins Rollen brachte: „Den schönen Sport lasse ich mir durch die Dopingproblematik nicht kaputtmachen. Ich mache das sauber, das ist meine Linie.“

Doch die Langlaufwelt ist alles andere als sauber, die Nordische Ski-WM in Seefeld und besonders der Österreichische Skiverband (ÖSV) versinken im Dopingsumpf. Markus Gandler muss seinen Posten als Sportlicher Leiter für Langlauf und Biathlon zum Ende der Saison räumen. Ein Bauernopfer, aber es trifft nicht den Falschen. „Wir als Skiverband sind betroffen, aber keine Täter“, sagte Präsident Peter Schröcksnadel. Alleinschuld hätten die „zwei Trottln“.

Auch Dürr bekam zuvor sein Fett ab. „Hätte er schon 2014 gestanden, wäre die Situation heute nicht, wie sie ist“, sagte der ÖSV-Chef. Die „Blutbeutel-Affäre“ bei den Olympischen Winterspielen 2002 in Salt Lake City und die immensen Doping-Razzien vier Jahre später in Turin hatte Schröcksnadel wohl zu seinem Vorteil verdrängt. Nur Einzeltäter und der ÖSV völlig schuldlos? Kaum zu glauben angesichts der Tatsache, dass Dürr in einem Hotel gegenüber der ÖSV-Zentrale sein Blut manipuliert hatte, dass die beiden in Seefeld erwischten Läufer dies in einer Residenz just gegenüber der Teamunterkunft taten.

Professor Sörgel könnte einen Ausschluss dennoch verstehen: „Die Situation ist mit der Russlands zu vergleichen. Es ist schwer einzuschätzen, wie viele Athleten betroffen sind. Aber wenn ich ein Problem nicht lösen kann, dann muss ich mich davon trennen.“ Den Fall insgesamt bezeichnet er „als neue Dimension, die es so noch nicht gab“. Bei laufender Infusion erwischt zu werden, das habe eine neue Qualität. „Die Athleten sind furchtlos und dumm.“

Vom Ski-Weltverband FIS und seinem Präsidenten Gian Franco Kasper fehlt bisher jede Stellungnahme. Als Martin Johnsrud Sundby nach seinem Sieg über 15 Kilometer vor die Presse trat, waren Fragen zum Dopinggeschehen verboten. Der Norweger war einst selbst – praktischerweise im Sommer – wegen unsauberer Anwendung eines Asthmamittels für zwei Monate gesperrt worden.

Klare Kante zeigte der Langlaufchef des Deutschen Skiverbands. „Es ist schön, weil die Saubären, die beschissen haben, aus dem Verkehr gezogen wurden. Geschissen auf das ewige Gerede von Medaillenchancen. Es geht um mehr“, sagte Peter Schlickenrieder.

Artikel 1 von 11