Die ersten Schockwellen um den neuesten Dopingskandal ebben allmählich ab, und langsam stellt sich die Frage: Wo steckt eigentlich Thomas Bach? Als oberster Repräsentant des Weltsports sollte der IOC-Boss etwas zu sagen haben darüber, dass sein Metier wieder mal schlimm in Verruf geraten ist. Doch es herrscht verdächtige Ruhe.
Nicht dass Bach Hemmungen hätte, sich öffentlich als Anti-Doping-Kämpfer zu inszenieren. „Null Toleranz“ zu predigen, fällt ihm nicht schwer – solange man seine Worte nicht an Taten misst. In Wahrheit ist der oberste Olympier über viele Jahre ein entschiedener Kämpfer gegen eine konsequente Dopingverfolgung gewesen.
Dass Bach am Ende einen großen Kampf verlor, ist für den Sport hierzulande ein Segen, wie sich jetzt zeigt. Seit 2015 gibt es in Deutschland ein Anti-Doping-Gesetz, das seinen Namen verdient – gegen den erbitterten Widerstand des IOC, dessen Präsident bis zuletzt Widerstand leistete. Aus gutem Grund: Das Werk räumt auf mit dem hartnäckig gepflegten Irrglauben, der Sportbetrieb könne sich auf seine Selbstreinigungskräfte verlassen.
Die angebliche Fähigkeit, von innen heraus zu kontrollieren und zu sanktionieren, ist ein Paradeargument des IOC, das aber immer weniger zieht. Die unverfrorene Augenwischerei wirkt umso absurder, als Doping- und sonstige Betrugsskandale die Glaubwürdigkeit des IOC längst ausgehöhlt haben. Tatsächlich diente die Mär von der Selbstreinigung über Jahrzehnte vor allem dazu, den hauseigenen Betrieb vor lästigen Ermittlern zu schützen und die lukrative Rekordsause ungehindert laufen und florieren zu lassen.
Das Beben von Seefeld (und seine Ausläufer bis Erfurt), das auch von deutschen Behörden ausgelöst wurde, ist der neueste von etlichen Beweisen, dass dem schlimmsten Übel des modernen Sports nur mit Entschlossenheit und einem gewaltigen Apparat beizukommen ist. Alle großen Enthüllungen der letzten Jahrzehnte waren Resultat staatlicher Ermittlungen (nicht selten als Folge journalistischer Recherchen). Um Betrüger zu überführen und Hintermänner auszuheben, braucht es kriminalistische Expertise, von der Telefonüberwachung bis zur Verfolgung von Geldflüssen. Kein Sportverband könnte das leisten. Selbst wenn er es wollte.
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