Indian Wells – Es war einer dieser Tage, an dem vom ersten bis zum letzten Moment auf fast traumhafte Art alles zusammenpasste. Elfmal in seiner Karriere hatte Philipp Kohlschreiber vorher gegen eine Nummer eins des Tennis gespielt und verloren, beim zwölften Mal knackte er den Code. Er wusste, dass er dieses Spiel und den höchst souveränen Sieg gegen Novak Djokovic in Indian Wells in die Schatzkiste seiner Erinnerungen legen würde. Er spielte so diszipliniert und taktisch geschickt, dass es eine Freude war, ihm zuzusehen. Hinterher beschrieb er seinen Auftritt in netten Worten: „Novak hat für seine Verhältnisse leichte Fehler gemacht, weil ich es geschafft habe, ihn mit verschiedenen Tempi und verschiedenen Höhen eklig anzuspielen. Ich hab schon gespürt, dass auf der anderen Seite nicht das Selbstverständnis, nicht die Lockerheit da ist.“
Lockerheit? Eher das Gegenteil. Djokovics Unzufriedenheit zeigte sich nicht nur in einem gesundheitsgefährdenden Ausbruch Ende des ersten Satzes, auf den er ungewöhnlich wenig Einfluss hatte. Die Art, wie er seinen Schläger zerlegte, indem er ihn mit Wucht dreimal gegen den linken Fuß drosch, hätte leicht zu üblen Folgen für Fuß und Mann führen können. In manchen Phasen hatte er wenig Ähnlichkeit mit dem dominierenden Mann des Tennis, der zwischen Juli 2018 und Januar 2019 drei Grand-Slam-Titel gewann. Als das Turnier in Indian Wells begann, herrschte allgemeine Einigkeit darüber, er sei der große Favorit, doch der ist nun nicht mehr dabei.
Zumindest im Einzel nicht. Im Doppel an der Seite des Italieners Fabio Fognini darf er weiter mitmachen, und bei einem Sieg im Doppel, keine zwei Stunden nach dem Spiel gegen Kohlschreiber, ließ er auch ein wenig Dampf ab. Hinterher kommentierte er die Niederlage im Einzel so: „Ich habe einfach nicht gut gespielt“, sagte er, „es war einer jener Tage. Aber ich gratuliere ihm zu seinem taktisch klugen Spiel, mit dem er es geschafft hat, mich aus meiner Komfortzone zu vertreiben.“
Philipp Kohlschreiber hatte nicht lange Gelegenheit, sich über den ersten Sieg seiner Karriere gegen eine Nummer eins zu freuen; keine 20 Stunden danach stand er (vergangene Nacht MEZ) gegen den Franzosen Gael Monfils wieder auf dem Platz, gegen den er in 15 Versuchen zuvor nur zweimal gewonnen hatte. Er wusste, dass es darauf ankommen würde, möglichst schnell wieder zur Tagesordnung zu finden, aber natürlich änderte das nichts an der Bedeutung seines Auftritts gegen Djokovic. „Diesen Sieg wird mir keiner nehmen können“, meinte er. „Jemanden, der die letzten 18 Monate so erfolgreich gespielt hat, zu bezwingen, ist sicherlich was sehr Tolles. Aber für mich persönlich hat ein Turniersieg einfach einen schöneren Stellenwert. Ich kann nicht abschalten, obwohl ich es gern würde, weil ich weiß, dass ich morgen wieder raus darf oder muss.“
Nicht nur das Männerturnier verlor seinen Spitzenmann, auch bei den Frauen ist die Nummer eins nicht mehr im Rennen; Naomi Osaka war gegen die beeindruckend spielende Schweizerin Belinda Bencic (3:6, 1:6) noch chancenloser als Djokovic gegen Kohlschreiber. Und Angelique Kerber? Nun, die Wimbledonsiegerin durchlebte in der Partie gegen eine der Aufsteigerinnen des vergangenen Jahres, Aryna Sabalenka aus Weissrussland, einen starken Beginn und eine Phase der Unsicherheit in der Mitte. Doch als es im dritten Satz bei einem Rückstand von 1:4 schon fast so aussah, als könne sie die extrem hart schlagende Sabalenka nicht mehr aufhalten, gab sie noch mal richtig Gas. Der letzte Ball, mit dem sie das Spiel gewann (6:1, 4:6, 6:4) und damit das Viertelfinale gegen Venus Williams erreichte, war einer der besten der ganzen Partie. DORIS HENKEL