Über den spanischen Stürmer Paco Alcacer hieß es erst vor wenigen Wochen, dass er mit seiner Torbilanz sinnbildlich für die Krise bei Borussia Dortmund stehe. Zwölf Tore habe er im Verlauf der rauschenden Hinrunde erzielt, nach der Winterpause waren bis dahin nur zwei hinzugekommen. Das stimmte, einerseits. Andererseits ließ diese Kalkulation sträflich außer Acht, dass besagte zwei Treffer ihm eben erst gelungen waren. Man hätte die Statistik auch umgekehrt deuten können. Nach seiner Flaute ging es offensichtlich wieder aufwärts.
Seit Samstag erlaubt seine persönliche Bilanz keine zwei Lesarten mehr. Zwei weitere Tore sind hinzugekommen, beide in der Nachspielzeit, wie so oft beim BVB. Man könnte nun wieder über das Momentum schwadronieren, das sich vor zwei Monaten auf die Seite der Bayern geschlagen habe, sich nun aber wieder den Borussen zuneige. Aber die Saison hat schon oft gezeigt, dass dieses Momentum mit Vorsicht zu genießen ist. Es verschenkt seine Gunst wahllos wie ein Heiratsschwindler.
Zurecht wehren sich die Bayern seit Jahrzehnten dagegen, nach knappen Siegen auf ihren sprichwörtlichen Dusel reduziert zu werden. So viel Glück, argumentieren sie, müsse man sich hart erarbeiten. Das ist korrekt, in München genauso wie in Dortmund. Tatsächlich sind späte Tore selten ein Geschenk des Himmels, dafür umso öfter eine Kombination aus Willenskraft, Selbstvertrauen und individueller Klasse.
Es ist bezeichnend für die Saison, dass der BVB auf den letzten Drücker die Kurve gekriegt hat. Die jüngsten drei Siege fügen sich ebenso ins Bild wie die späten Treffer oder Alcacers Wiedergeburt – und, Stichwort Geburt, Marco Reus’ Vaterglück. So emotional, wie der Club und sein sensibler Kapitän gestrickt sind, wird man daraus sicher einen Schub beziehen.
Auf vielen Gebieten sind die Bayern ebenbürtig oder überlegen, aber auf diesem eher nicht. Die jungen Borussen sind ziemlich gut darin, sich von den Umständen tragen zu lassen. Aktuell sind sie wieder im Aufwind. Aber das kann auch bloß eine Laune des Momentums sein.
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