Unterhaching – Der Blick fällt auf eine Tribüne, auf der keine Sitzschale mehr in der Verankerung steckt. „Die haben die Fans im Überschwang rausgerissen“, sagt Manni Schwabl, doch das war ein typischer Präsidenten-Schmäh. Die Wahrheit ist, dass in Unterhaching zwei Tage nach der 99-Prozent-Rettung die Zukunft angepackt wird, zu der ein modernisierter Sportpark zählt. Und noch ein Teil der Wahrheit ist, dass die Unbeschwertheit zurück ist – bei Schwabl, der wieder in Scherzlaune ist. Und bei Claus Schromm, der tiefenentspannt zum Interview erscheint, als läge nicht knallharter Abstiegskampf hinter ihm, sondern eine Frischzellenkur. „Ich fühle mich positiv aufgeladen“, sagt der Trainer, der den fehlenden Prozentpunkt zum Klassenerhalt am Samstag in Osnabrück einfahren will.
Herr Schromm, dem Höhenflug in der Hinserie folgte eine Horrorrückrunde, die in einen rettenden 3:0-Heimsieg gegen Lotte mündete. Wie emotional war das für Sie als Trainer?
Auf der Skala 1 bis 10 mit Sicherheit in einem höheren Bereich. In der Halbzeit hab ich heimlich auf die Ergebnisse geschaut, da hab ich gemerkt, welche Brisanz doch noch dahinter steckt. Theoretisch hätte ja auch ein Unentschieden reichen können, aber wir waren tatsächlich verdammt zum Siegen. Hinterher ist dann eine brutale Last von mir abgefallen.
Erfreulich, dass Sie sich den Hinweis sparen, dass das in Osnabrück noch schiefgehen könnte . .
Ich kann mir viel vorstellen im Fußball, aber nicht, dass wir 0:12 verlieren (lacht).
Sind denn die ganze Zeit so cool geblieben, wie Sie jetzt wirken?
Nein, überhaupt nicht. Dazu geht uns allen das Projekt hier zu nahe. Ich bin jetzt das elfte Jahr hier, im siebten nach dem Neustart. Man weiß dann schon, was alles dranhängt, wenn es noch mal runtergehen würde. Vielleicht sind wir uns auch deswegen ein bisschen selbst im Weg rumgestanden. Gerade, weil unsere Spieler ja eine ziemlich intelligente Truppe sind, bei denen sich die meisten auf Jahre an das Projekt gebunden haben.
Heißt das, der Kern, Sie eingeschlossen, wäre im Abstiegsfall zusammengeblieben?
Ich kenne jetzt nicht jeden Vertrag im Detail, aber am Grundkonstrukt hätte sich wohl nicht viel geändert. Zum Glück müssen wir uns darüber jetzt erst mal keine Gedanken mehr machen.
Um eine Analyse des Fastabsturzes werden Sie aber nicht herumkommen. Wie erklären Sie sich im Rückblick die beinahe fatale Abwärtsspirale?
Ich denke, da gibt es mehrere Gründe. Die vielen Spiele im März, mit Pokal waren wir acht oder neun Mal in kürzester Zeit gefordert. Dazu kam, dass wir von Woche zu Woche weniger geworden sind. In Karlsruhe haben zehn Spieler gefehlt, von denen die meisten zum absoluten Stamm gehören. Trotzdem haben wir bis zur Pause den Aufstiegsfavoriten vor große Probleme gestellt. Das war einer dieser Momente, wo ich dachte: Das kann der liebe Gott unmöglich mit uns vorhaben. Es kann nicht sein Interesse sein, dass solche Leistungen zum Abstieg führen.
Sondern?
Ich bin mir sicher, dass sein Motiv war: Okay, die wollen ja anders sein, sich antizyklisch zum Fußballbusiness verhalten. Also müssen sie da jetzt durch, um richtig zu wachsen. Am Samstag hab ich spontan gesagt: Was soll jetzt noch kommen? Was soll uns nach diesem Jahr noch umwerfen? Deswegen denke ich: Das Ganze hat uns jetzt so richtig stark gemacht – und uns auch noch mehr Sympathien eingebracht.
Der Präsident hat nie den Hauch eines Zweifels gelassen, dass er Sie fallen lassen könnte.
Ich wusste: Wenn, dann muss ich wahrscheinlich an die Tür klopfen.
Und, haben Sie?
Natürlich haben wir auch über dieses Thema gesprochen. Aber was mich betrifft: Die Mannschaft hat mir Woche für Woche ein ganz klares Signal gegeben, im Training – und auch im Spiel, trotz der Niederlagen. Seppi Welzmüller (der verletzte Kapitän/Red.) hat zu mir mal gesagt: Schon krass, wir kriegen jeden Samstag in die Fresse. Es tut auch immer mehr weh. Trotzdem hatte ich das Gefühl, dass die Energie, die unter der Woche freigesetzt wird, immer stärker wurde. Wie die Jungs alleine am Mittwoch vor dem Lotte-Spiel trainiert haben – abartig!
Antizyklisch bedeutet auch: Sie haben Ihren Spielstil auf Gedeih und Verderb durchgezogen.
Ja. Und das war auch richtig so. Alles andere wären nicht wir gewesen, sondern irgendetwas Verlogenes. Wir sind eine aktive Mannschaft – und nicht dazu gemacht, auf die Fehler der anderen zu lauern.
So viel zur Analyse. Doch welche Lehren zieht man aus so einer Saison?
So weit sind wir noch nicht, dazu ist alles noch zu frisch. Wir müssen erst mal die Gefühlsausschläge in beide Richtungen verarbeiten, ich bin mir aber sicher, dass uns diese Erfahrung bockstark macht. Vielleicht sogar stärker als Platz vier oder fünf.
Mit anderen Worten: Haching greift künftig die Aufstiegsplätze an?
Wir sind vor zwei Jahren aufgestiegen und hatten den Plan, dass wir uns in der 3. Liga konsolidieren. Jetzt ist die logische Folge, dass wir die Mannschaft in der Breite und in der Spitze optimieren, uns ein weiteres Jahr stabilisieren – und dann 20/21 ganz frech sagen: Wir wollen aufsteigen! Wobei das mit unserem Etat wirklich saufrech wäre.
Wie stark muss denn aus Ihrer Sicht der bestehende Kader optimiert werden?
Wir sind ja schon länger dabei, Verträge zu verlängern und mit Spielern zu sprechen. Seit Samstag sind wir da ein bisschen schlauer, was die Ligazugehörigkeit angeht. Ich denke, wir werden uns mit drei, vier, fünf Spielern verstärken. Ein großer Umbruch war nie geplant.
Bekommen Sie auch einen zweiten Torjäger? Der Präsident sagte vorige Woche, es sei ein Fehler gewesen, im Winter keine Alternative zu Stephan Hain zu verpflichten.
Die Idee stammt aber nicht von mir. Das war allein sein Gedanke. Wirtschaftlich wäre das auch schwierig geworden, denn als Haching musst du dir jede Transferidee vom DFB genehmigen lassen. Ich weiß aber, dass Manni zu seinem Wort steht: Vor Jahren hat er mir einen Spieler versprochen, der 30 Tore schießt. Ich hab nur gelacht – und dann haben wir gewettet. Mit dem Ergebnis, dass ich ihm jetzt ein Wellness-Wochenende schulde. Kaum hatte Hain in Ingolstadt sein 30. Tor geschossen, stand er (Schwabl) da und hat gesagt: Was ist jetzt? Wird Zeit, dass er das Wochenende mal bucht – aber mit seiner Frau, nicht mit mir (lacht).
Und was machen Sie jetzt, um Ihre Akkus wieder aufzuladen?
Das hab ich gar nicht nötig. Ich will nicht sagen, dass die letzten Wochen erquickend waren, aber ich habe genug Energie rausgezogen, um jetzt die viele Arbeit zu erledigen, die liegen geblieben ist. Pfingsten geht es dann mit der Familie in den Urlaub.
Interview: Uli Kellner