Berlin – Die Stuttgarter Absteiger rangen verzweifelt nach passenden Worten für ihr sportliches Versagen, als sie von schrillen Ballermann-Hits der Köpenicker Kabinenparty übertönt wurden. Union Berlin feierte sich nach dem 0:0 im Relegations-Rückspiel gegen den VfB und dem ersten Aufstieg in die Bundesliga in einen feucht-fröhlichen Rausch, der für Trainer Urs Fischer erst nach drei Gläsern Weißwein und morgens um 4.30 Uhr endete. Schon unmittelbar nach dem Schlusspfiff hatten sich im Stadion an der Alten Försterei unglaubliche Szenen abgespielt. Einige Tausend Fans fluteten den Rasen, eine riesige Anspannung entlud sich. Sie griffen sich ihre Helden, tanzten mit ihnen auf dem Rasen und auf der Trainerbank. Raketen flogen in die Luft, rot-weißer Rauch legte sich über die Jubelszenerie.
Clubpräsident Dirk Zingler, der „20 Jahre auf diesen Moment gewartet“ hatte, taumelte er freudetrunken durch die Katakomben, nahm jeden Ordner in den Arm. „Es ist surreal, ich fasse das gar nicht“, sagte Zingler. Clubsprecher Christian Arbeit bekam eine Glatze verpasst, Trainer Urs Fischer musste mehrere Bierduschen über sich ergehen lassen. „Das ist einfach nur geil“, sagte der Schweizer Fischer ungewohnt euphorisch. Die Spieler waren baff. „Wahnsinn, ich habe noch immer Gänsehaut. Jeder Fan, der zu mir kam, hat sich bedankt. Ich könnte gleich heulen“, meinte Mittelfeldspieler Robert Zulj. Als 56. Verein seit 1963 gelang Union der Aufstieg ins Oberhaus. Viele Fans weinten hemmungslos. Sie hatten 2004 Blut gespendet und das Geld dem Club gegeben, als der Absturz drohte, sie bauten mit eigenen Händen das Stadion aus. Einige von ihnen wollten aber nicht aufsteigen, aus Angst vor der zunehmenden Kommerzialisierung.
Die Stuttgarter verließen so schnell wie möglich den Ort, der ihnen den dritten Abstieg nach 1975 und 2016 beschert hatte. Bei der Landung in Stuttgart um zwei Uhr morgens herrschte gespenstische Stimmung. Mario Gomez und Co. schlichen wortlos durch die menschenleeren Hallen. „Es war eine Horrorsaison – von Anfang bis Ende“, hatte Stuttgarts scheidender Interimstrainer Nico Willig vor dem Abflug aus Berlin gesagt. Kapitän Christian Gentner sprach von einem „schwarzen Tag“ und berichtete aus der VfB-Umkleide: „Erwachsene Männer, die Tränen verdrücken.“
Wie ein Häufchen Elend trat auch Thomas Hitzlsperger nach dem 0:0 im Relegations-Rückspiel beim Zweitligadritten vor die Presse. „Das ist heftig, sehr heftig“, sagte der Sportvorstand. Der Ex-Nationalspieler wird sich in den kommenden Tagen mit dem neuen Trainer Tim Walter (von Holstein Kiel) und Sportdirektor Sven Mislintat beraten. „Ich erhoffe mir“, sagte Hitzlsperger, „dass wir zusammen neue Impulse setzen und alle aufrichten können, die in der Zukunft auch bei uns sind.“
Aber wer ist das? Kapitän Gentner (Vertrag läuft aus) und Torhüter Ron-Robert Zieler (Vertrag bis 2020) ließen unmittelbar nach dem Abstieg ihre Zukunft offen. Großverdiener Gomez dürfte als Ersatzstürmer eine Liga tiefer viel zu teuer sein, will aber seinen Vertrag (bis 2020) erfüllen. Sein Berater Uli Ferber sagte der Stuttgarter Zeitung: „Mario will mithelfen, den sportlichen Schaden zu reparieren. In dieser Lage wird er den Verein nicht verlassen.“
Gomez hatte neulich in der Süddeutschen Zeitung bereits gesagt, er sehe sich in seinem letzten Jahr als Mentor für jüngere Profis: Er werde „nicht beleidigt sein“, wenn er auf der Bank sitze.