London – Irgendwie fühlte sich die Sache so an, als sei an einem perfekten englischen Sommertag ein riesengroßer Kübel Eis auf Court 2 gefallen. Mit gesenktem Kopf und einem Handtuch über den Schultern verließ Angelique Kerber den Ort des virtuellen Unwetters nach ihrer Niederlage in drei Sätzen gegen eine Amerikanerin vom Weltranglistenplatz 95, Lauren Davis (6:2, 2:6, 1:6). Damit wird die Kielerin nach dem Turnier nicht mehr zu den Top Ten der Weltrangliste gehören, und in gewisser Weise schließt sich der Kreis, denn vor ihrem Titelgewinn im vergangenen Jahr hatte sie ebenfalls nicht zu den zehn Besten des Frauentennis gehört.
Nur mit Glück war Lauren Davis (25) im Hauptfeld der Championships gelandet. Die kleine Amerikanerin hatte in der letzten Runde des Qualifikationsturniers verloren, profitierte dann aber davon, dass der All England Club nicht alle Wildcards vergeben hatte. Seit Januar 2018 hatte sie keine zwei Spiele in Folge bei einem Turnier gewonnen, und als sie zum Spiel auf Court No. 2 erschien, hätte man sich um ihre Gesundheit Sorgen machen können; ein Tape-Verband an der Schulter, ein massiver Verband am linken Bein. Aber von solchen Äußerlichkeiten sollte man sich nicht täuschen lassen, oft sieht die Sache ja viel schlimmer aus, als sie ist, und so war es auch in diesem Fall.
Beide begannen nervös und verloren Aufschlagspiele, Kerber machte als Erste den Eindruck, als habe sie ihren Rhythmus gefunden, und alles schien sich so zu entwickeln wie der Weg der Sonne an diesem berechenbar schönen Tag. Doch Kerber (31) meinte nach dem Spiel, selbst nach dem Gewinn des ersten Satzes habe sie nicht das Gefühl gehabt, gut zu spielen, irgendwie habe ihr von Beginn an die Energie gefehlt. Sie erinnerte sich daran, dass sie auch im vergangenen Jahr auf dem Weg zum Titel gegen eine relativ unbekannte Qualifikantin aus den USA drei komplizierte Sätze hatte spielen müssen, doch was damals gut gegangen war, ging diesmal schief.
Nach einer Behandlung schien es Lauren Davis auf einmal deutlich besser zu gehen, Kerber hingegen wirkte zögerlich, ja manchmal fast ängstlich und scheute jedes Risiko. Und nachdem sie im fünften Spiel des zweiten Satzes diverse Breakchancen vergeben hatte, ging es zügig bergab. Hatte sie nicht vor dem ersten Spiel erzählt, wie sehr sie sich freue, wieder in Wimbledon zu sein, wie gut sie in den vergangenen Wochen auf Rasen wieder in Schwung sei mit dem Halbfinale auf Mallorca und dem Finale kürzlich im Seebad Eastbourne? Hatte sie.
Lauren Davis konnte längst spüren, was auf der anderen Seite des Netzes los war, du Zuschauer spürten es auch, und Angelique Kerber machte den Eindruck, als stecke sie im Eis dieses Sommertages fest. In diesen Momenten fiel es ziemlich schwer zu glauben, dass sie seit 2016 die erfolgreichste Rasenspielerin ist, zumal in Wimbledon mit einer Bilanz von 17:2. Die ersten beiden Matchbälle wehrte sie ab, beim dritten landete ihr letzter Ball im Netz, und das war es mit dem Unternehmen Titelverteidigung.
Natürlich sei sie traurig und enttäuscht, sagte sie hinterher, warum ihr von Anfang an die Energie gefehlt hatte, konnte sie allerdings nicht erklären. Und irgendwie war es anders als vor ein paar Wochen bei den French Open nach der Niederlage in Runde eins gegen eine junge Russin. Damals hatte sie vorher wegen eines doppelten Bänderrisses im Sprunggelenk kaum trainieren können, diesmal war sie fit in Wimbledon gelandet, und trotzdem konnte sie die frühe Niederlage nicht verhindern. „Ich habe nicht die Leistung gebracht, dich ich erwartet habe“, sagte sie zum Abschied, „ich hab alles gemacht, was ich konnte, aber es hat nicht gereicht.“
Damit ist das restliche Aufgebot des deutschen Tennis in Wimbledon nun ziemlich überschaubar. Dominik Köpfer unterlag gestern Diego Schwartzman aus Argentinien mit 0:6, 3:6, 5:7 – damit haben sich genau zwei deutsche Akteure für die dritte Runde qualifiziert, beide allerdings in überzeugender Form. Jan-Lennard Struff besiegte den Amerikaner Taylor Fritz 6:4, 6:3, 5:7, 7:6 (7:2), und Julia Görges hatte die Dinge ebenso im Griff gegen die russische Qualifikantin Warwara Flink (6:1, 6:4). Lohn des Erfolgs ist nun am Samstag die nächste Chance auf den ersten Sieg gegen Serena Williams. Im vergangenen Jahr hatte Görges im Halbfinale gegen Williams verloren, aber das soll nicht das letzte Wort gewesen sein.