von Redaktion

VON GÜNTER KLEIN

Die Fußball-Bundesligisten stecken alle in der Saisonvorbereitung, in Trainingslagern, es ist die Zeit intensiven Arbeitens. Zwischendurch muss Auflockerung sein und Abwechslung. Ein Spiel, das anders belastet als der Fußball, aber ebenfalls die Sinne schärft, die Wettkampflust weckt und Spaß macht. Die Trainer rufen eine Runde Völkerball aus.

Sie müssen das Spiel nicht groß erklären. Jeder hat es mal gespielt, in der Kindheit, in der Jugend, in der Schule. Jeder, egal aus welchem Land, ist schon einmal abgeworfen worden oder einem Ball geschickt ausgewichen. Hat ihn sicher auch abgefangen und den Gegenangriff eingeleitet. Völkerball ist im Grunde ein Weltsport.

Und doch eine Sportart, die nur in der Erinnerung stattfindet. Man spielte es, als man klein war. Und Ende. Mit dem Übertritt in die Erwachsenenwelt verschwand es. Weil es – so denkt man – all das nicht gibt, was einem Sport Aufmerksamkeit verschaffen könnte: Stars, Wettbewerbe, Vereine. Jedoch, so ist es gar nicht. Deutschland hat eine Erwachsenen-Völkerballszene. Und im internationalen Bereich, in der etwas verschärften Form namens Dodgeball, gibt es einen Weltverband und demnächst wieder Europameisterschaften.

Völkerball läuft über den Deutschen Turner-Bund (DTB). Stellvertretend zuständig ist Marlies Seel, eine im Saarland lebende Niederländerin, die 65 ist und, wie sie sagt, „bis vor zwei Jahren selbst gespielt“ hat. „Auf dem letzten Deutschen Turnfest in Berlin hatten wir ein Völkerball-Turnier mit 62 Mixed-Mannschaften“, erzählt sie. Hochburg in Deutschland ist Niedersachsen, wo um die hundert Mannschaften sich am Spielbetrieb beteiligen. Außerdem gespielt wird in Westfalen, im Saarland und im Bereich des Rheinländischen Turnerbundes. Der DTB hat ein Regelbuch geschrieben (in den Schulen wird ja eher kunterbunt und mit sehr großen Mannschaftsstärken gespielt), der Spielbetrieb ist geordnet, zu einer Partie gehören zwei Schieds- und zwei Linienrichter. Die vier deutschen Verbände mit Völkerball-Betrieb spielen ihre drei besten aus, die dann in einem Turnier ihren jährlichen Deutschen Meister ermitteln.

Eine deutsche Völkerball-Nationalmannschaft hat der Deutsche Turner-Bund nicht – dafür aber der Deutsche Dodgeball-Bund. Für den geht es Ende des Monats zur Europameisterschaft nach Newcastle, England. Zwanzig Nationen haben gemeldet für die Turniere bei Männern, Frauen und im Mixed.

Patrick Kuznitius ist „im deutschen Dodgeball das Mädchen für alles“. Vizepräsident des Verbandes und Spielertrainer. Einer, für den Dodgeball mehr ist als wildes Hin- und Herwerfen und Jagen, sondern ein Spiel voller Strategie und Taktik.

Die Szene, das weiß er, ist überschaubar, sie funktioniert nur an wenigen Orten. Im Ruhrgebiet etwa ist ein kleines Zentrum, da haben Kegelfreunde der Altersklasse 35 bis 55 das gesellige Spiel aus Schulzeiten für sich wiederentdeckt. Die meisten Dodgeballer sind zwischen 20 und 35, aus ihnen werden auch die Nationalmannschaften gebildet, die korrekt in Deutschland-Trikots mit Namensflock zu den Turnieren antreten.

Es gab sogar einen Dodgeball-Film. 2004. „Dodgeball: A True Underdog Story“, im deutschen Verleih hieß er „Voll auf die Nüsse“. Die Klamotte mit Ben Stiller in der Hauptrolle (Nebenrollen: David Hasselhoff als deutscher Trainer und Lance Armstrong als er selbst) war ein Erfolg, sie spielte bei Produktionskosten von 20 Millionen 167 Millionen US-Dollar ein. „Das hat dem Dodgeball natürlich Aufmerksamkeit gebracht“, so Patrick Kuznitius.

Der andere Hingucker: Vor zwei Jahren „Die große ProSieben Völkerball Meisterschaft“ mit Semi-Prominenten und den üblichen aus dem Privatfernsehen bekannten Freaks, allerdings auch einer Mannschaft „Weltmeister“ mit Thomas Rupprath (Schwimmen), Johannes Rydzek (Nordische Kombination), Frank Stäbler (Ringen), Marie Lang (Kickboxen), Kevin Kuske (Bob). Die deutschen Dodgeballer von Patrick Kuznitius haben bei dem dreieinhalbstündigen TV-Event fachliche Schützenhilfe geleistet. „Wir sollten auch mit den Völkerballern vom Deutschen Turner-Bund zusammenkommen, das hat sich aber nicht ergeben.“ Obwohl sie doch Gemeinsamkeiten haben. Etwa: Bei Völker- wie Dodgeball wird gerne auch eine Variante im Sand gespielt. „Beach“ also auch hier.

Eine Macht ist Deutschland im Dodgeball nicht. Platz 13 in der europäischen Rangliste bei Männern und im Mixed, 15. bei den Frauen. Außerhalb Europas sind die Asiaten stark, doch Herzkammer des Spiels ist Großbritannien, wo der Weltverband sitzt (Manchester). In Europa führt England die Ranglisten an, ausgenommen die der Damen, in der Österreich vorne steht.

Doch die Dodgeballer sehen die Rivalitäten nicht so eng. „Die Atmosphäre ist auch bei der EM familiär“, versichert Patrick Kuznitius, „wir sind eine kleine Community“. In der man manchmal einfach wieder Schulkind ist.

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