Wo ich Weltklasse gewesen wäre

von Redaktion

KINDERSPORT

GÜNTER KLEIN

Ich war ein dickes Kind und hatte keine Chance, meine Träume von der Fußball-Profikarriere zu verwirklichen. Aber in einem Sport war ich verdammt gut: im Völkerball. Auch dicke Kinder können zur Seite hechten (man fällt ja weich), und ein schwabbeliger Leib nimmt jedem Kanonenball die Wucht. Im verklärenden Rückblick sage ich immer: Hätte es eine Völkerball-Nationalmannschaft gegeben, ich wäre Nationalspieler gewesen (oder es womöglich heute noch). Was meine Geschichte aber über den Haufen wirft: Bei der Recherche zum Thema Völkerball, gegen das sich aus Kanada vor einigen Tagen mahnende Stimmen erhoben („Legalisiertes Mobbing“), fand ich heraus: Es gibt sie, diese Nationalmannschaft. Und somit ja: erwachsene Menschen spielen Völkerball.

Nun muss ich weiterforschen: Existieren auch in anderen vermeintlich Kindern vorbehaltenen Sportarten reguläre Wettkampfformen für die Großen? In meiner Erinnerung war ich im Tischtennis-Rundlauf, das wir als Ministranten im Keller des Pfarrhauses spielten, top. Ebenso im Steinplatten-mit-Stahlnetz-Tischtennis auf Kinderspielplätzen. Größter sportlicher Erfolg meiner Kindheit waren Silber und Bronze bei einer Gartenolympiade in Sackhüpfen und Eierlauf.

Freilich hatte ich auch Schulspiel-Schwächen. Stangenklettern war ein Horror. Wegen des Missverhältnisses von Kraft und Gewicht. Und ganz oben, nahe der Decke der Sporthalle, hätte ich Höhenangst bekommen.

Fangen (bei uns auch Fangus genannt) war ebenfalls nicht meins. Ich war zu langsam – schnell war ich nur aus der Puste. Jedoch: Fangen kann ein attraktiver Sport sein. Das hat der Fernsehsender Sat.1 erkannt. 2018 und 19 veranstaltete er „Catch! Die Deutsche Meisterschaft im Fangen.“ Zum amtierenden Siegerteam gehört der wirklich pfeilschnelle Ex-Fußballer David Odonkor, und das TV-Format erhielt den Grimme-Preis. Es schauten weit über eine Million Leute zu.

Im Fangen könnte ich auch heute, weitaus sportlicher als vor über 40 Jahren, keine Ehre einlegen. Doch es gibt, so verrät Google, Weltmeisterschaften im Verstecken und in Reise nach Jerusalem. Da war ich als dickes Kind mit meiner Verdrängung absolute Weltklasse.

Artikel 4 von 11