Das überflüssigste Ritual bei Löwen-Heimspielen durfte auch am Freitagabend nicht fehlen. Das ist der Moment Mitte der zweiten Halbzeit, wenn die offizielle Zuschauerzahl verkündet wird. 15 000 passen rein, 15 000 kommen immer – selbst wenn der Gegner Barfuß Bethlehem hieße. Künftig jedoch muss Ansager Stefan Schneider seinen Text ändern. Er darf dann rufen: „Das Grünwalder Stadion ist mit 18 060 Zuschauern ausverkauft. Vergelt’s Gott, dass Sie zu Sechzig München gehen.“
18 060 dürfen also künftig in das historische Bauwerk – und kein Zuschauer mehr. Die Machbarkeitsstudie, pünktlich zum Drittligastart veröffentlicht, hat ein Ergebnis hervorgebracht, das nicht unbedingt dazu geeignet ist, die gespaltene Fanszene zu einen. Jubeln werden diejenigen, die den Standort Giesing über alles stellen, denn durch das grüne Licht für die Zweitligatauglichkeit muss der Verein nun nicht mehr bangen, im theoretisch möglichen Aufstiegsfall die Obdachlosigkeit zu riskieren. Fluchen werden dagegen diejenigen, die im Stillen immer noch hoffen, eines Tages mal wieder großen Fußball mit 1860-Beteiligung zu erleben. Bundesliga-Spiele gegen Dortmund oder die echten Bayern sind schwer vorstellbar, wenn dann fünfmal so viele Fans draußen bleiben müssten, als eigentlich reinwollen.
Aber: In einem komplizierten Verein wie 1860 kann man es eh nicht allen recht machen – und so gesehen hätte das Ergebnis kaum salomonischer ausfallen können. Fest steht jetzt, dass die Löwen dort bleiben können, wo sie sind. Fest steht aber auch, dass die Anwohner nicht das Gefühl haben müssen, Opfer einer Anbiederung an die weiß-blaue Wählerschaft geworden zu sein. Im Gegenteil: Sie werden behutsam mitgenommen auf dem Weg der Sechzger, in ihrem emotionalen Rückzugsort sesshaft zu werden. Und durch die Komplett-Überdachung wird künftig womöglich sogar weniger Torjubel und Gepfeife in ihre Vorgärten dringen. Daher: 18 060 sind auch als Symbol zu werten – als Kompromiss für den Moment. Nicht ohne Grund hat OB Reiter die Fans ermahnt, friedlich zu bleiben. Die Lösung, zu der die Stadt 30 Millionen Euro beisteuern will, passt zum Zuschnitt des TSV als reduzierter Stadtteil-Profibetrieb. Bevor der Verein wieder größere Ziele anpeilen darf, muss er eh viele andere Probleme lösen. Die e.V.-Politik der kleinen Schritte – sie scheint zu funktionieren.
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