Eine Geschichte aus den 90er-Jahren: Der Düsseldorfer Schwimmclub wollte seine Wasserball-Sparte populärer machen, er lud die örtliche Presse ein, um ihr vorzuschwärmen von der Attraktivität des Sports. Der Vertreter der „Bild-Zeitung“ mochte nicht lange zuhören, er fragte: „Stimmt es, dass Sie bei Ihrem Spiel am Wochenende Blut ins Wasser kippen werden?“ Der Mann vom Verein wehrte entrüstet ab: „Natürlich nicht.“ Woraufhin der Reporter sich erhob: „Schade, dann werden Sie von Ihrer Veranstaltung nichts lesen.“ Und Abgang.
Schon klar: Wasserball ist ein schwer zu verfolgender Sport. Weil man als Zuschauer nicht richtig sieht, was sich unter der Wasseroberfläche abspielt und das Geschehen dadurch statisch wirkt. Doch in einem Punkt ist der Sport schwer zu toppen: Er ist hart. Er verlangt Schmerzunempfindlichkeit von seinen Akteuren. Und Überwindung. Vergangene Woche bei der Schwimm-WM in Südkorea beeindruckte Marco Stamm, der deutsche Nationalspieler. Er hatte sich – bei Ausübung seines Sports – die Bänder im Sprunggelenk gerissen, was ja schon einiges verrät über den Umgang im Becken, er konnte kaum noch gehen, brauchte an Land einen Rollstuhl, um sich in angemessenem Tempo fortbewegen zu können. Doch als es beim nächsten WM-Spiel eng wurde für seine Teamkollegen, da glitt Stamm doch ins Wasser und warf fünf Tore.
Die deutsche Sportöffentlichkeit jubelte: Was für ein Kerl! Von ganz anderem Schlag als die Fußballer.
2019 ist das Jahr der Härtediskussion. Dem Sportkonsumenten scheint es wichtig geworden zu sein, dass er einschätzen kann, welche Hingabe in welcher Sportart gewährleistet ist.
Darum hat er im Januar die Handballer verehrt. Die foulten einander bei der WM oft wüst, doch keiner blieb lange liegen auf dem Hallenboden, auf den er geknallt war. Und in endlosen Diskussionen mit den Schiedsrichtern verstrickte sich auch niemand.
Im Frühjahr galt die Bewunderung den Eishockeyspielern, die in ihren Playoffs Schmerzen und Einschränkungen ignorierten. Zunächst auch ohne davon etwas zu erzählen. Erst als die Mannschaft in einem über die Maximaldistanz von sieben Spielen gegangenen Viertelfinale gegen Augsburg ausgeschieden war, veröffentlichte die Düsseldorfer EG exemplarisch eine Schadensbilanz. Allein im letzten Spiel hatten sich fünf Cracks verletzt. Alexander Barta, der Kapitän, zog sich im ersten Drittel einen Innenbandriss im Knie zu und sagte zum Teamarzt: „Fixiere das, ich spiele weiter.“ Ken-Andre Olimb sprang das Schultereckgelenk heraus – und ohne sicher sein zu können, dass daraus kein langfristiger Schaden entsteht, blieb auch er im Spiel. Manuel Strodel spielte mit gebrochenem Mittelfuß weiter, Patrick Köppchen mit Sehnenriss in der Schulter. Allein Christian Kretschmann gab auf – nur vernünftig angesichts der Diagnose Gehirnerschütterung.
Im Sommer kam der Fußball doch noch zu Ehren. Doch das Die-können-was-einstecken-Lob galt den Fußballfrauen bei ihrer WM. Gefoult wird auch ihnen – aber in aller Sachlichkeit.
Die Neigung zum Drama ist der Makel des Männer-Fußballs. Neymar, einer der größten Stars, hat bei der WM 2018 viel zum Pussy-Image der Kicker beigetragen. Die Zuschauer zählten mit, wie oft er liegen blieb, als wäre seine Karriere beendet; sie rechneten die Zeiten zusammen: In vier Spielen wälzte sich Neymar 13:50 Minuten am Boden. Jedoch war der Brasilianer auch der meistgefoulte Spieler des Turniers (22 Mal).
Der Fußball kommt schlecht weg in den Vergleichen der Mannschaftssportarten, bisweilen zu schlecht, wie schon der Eishockeytrainer Hans Zach, der auch ein interessierter Fußballbeobachter ist, vor Jahren fand. Im Fußball könne man Verletzungen nicht unter der Ausrüstung verstecken, und mit gebrochenem Fuß sei es nicht mehr möglich, aufzutreten, aber in einem festen Schuh übers Eis zu gleiten.
Über Härte definiert sich der Fußball freilich auch nicht, seine Merkmale sind andere: Technik, Raffinesse, Strategie, schnelles Weiterbefördern des Spielgeräts, Ballsicherheit. Basketball, das offiziell ein körperloses Spiel ist, bezieht seine Attraktivität aus der Präzision der Aktionen, während Eishockey und Handball durchaus Wert darauf legen, als hart wahrgenommen zu werden. Die Handballer verweisen darauf, dass sie weitgehend ungeschützt ihrem Job nachgehen – allerdings ist bei ihnen der Einsatz präventiv eingenommener Schmerzmittel offenbar gang und gäbe.
Und Wasserball? Gefürchtet ist die „ungarische Begrüßung“: Ellbogen gegen die Brust, Faust in die Magengrube, Knie Richtung Badehose. Allerdings ist die Verletzungsgefahr relativ gering. Die Spieler tragen Tiefschutz. Und Wasser dämpft.