Eine Frage der Haltung

von Redaktion

Bei der WM-Analyse stellt Voss-Tecklenburg fest, dass der Mentalitätswandel im Frauenfußball Zeit benötigt

Frankfurt – Den Laptop hatte Martina Voss-Tecklenburg mitgebracht, aber nicht ein einziges Mal aufgeklappt. Die Bundestrainerin schaffte es, ihre WM-Analyse auch ohne Powerpoint-Präsentation vorzustellen. Während Joachim Löw nach dem WM-Desaster 2018 acht Wochen abtauchte, um dann mit eine wirr anmutenden Aufarbeitung aufzuwarten, entschied sich die 51-Jährige für eine prägnante Zusammenfassung der wichtigsten Thesen. „Wir brauchen größeren Widerstand in allen Bereichen. Wir haben nicht zu 100 Prozent geschafft, eine stabile Achse im Team herzustellen. Wir müssen die Hierarchien stärken und die Haltungsfragen stellen“, führte die Trainerin aus.

Damit ging sie auf ein Kernproblem ein, das das vorzeitige WM-Aus im Viertelfinale gegen Schweden (1:2) bedingte. Warum gingen die deutschen Fußballerinnen am 29. Juni bei Gluthitze in Rennes ein wie eine Primel, die nicht mehr gewässert wird? „Die ersten 20 Minuten waren top“, sagte Voss-Tecklenburg: „Nach den Gegentoren fehlte es an Mut, Festigkeit und Widerstandskraft.“ Nun muss der Mentalitätswandel ohne die Olympischen Spiele 2020 bewerkstelligt werden – den Tokio-Startplatz hatten die Titelverteidigerinnen ja ebenfalls in Frankreich verspielt

Joti Chatzialexiou plädierte in diesem Zusammenhang für die Abschaffung der B-Juniorinnen-Bundesliga. Die sei „gut gemeint, hilft aber nicht weiter“. Zudem spricht sich der Sportliche Leiter dafür aus, die weiblichen Talente so lange wie möglich bei den Junioren mitspielen zu lassen. Die Bundestrainerin wünscht sich mehr Testspiele auf hohem Niveau wie das Duell am 9. November mit dem WM-Halbfinalisten England. Geplant ist daher die Teilnahme am Algarve-Cup 2020, dem anerkannten Testturnier, dem die DFB-Auswahl dieses Jahr fernblieb.

Voss-Tecklenburg hält das US-Weltmeisterteam um Frontfrau Megan Rapinoe nur bedingt für ein Vorbild: „Die machen 35 Länderspiele im Jahr, sind drei Monate zusammen und ständig in den Medien präsent. Da sind wir noch nicht.“ Sie sieht zudem, dass gesellschaftliche Probleme („Gleichmacherei auf vielen Ebenen“) in ihren Bereich abstrahlen, denn ihr Prinzip der „offenen Türe“ habe im Turnier nur „bedingt funktioniert“. Offenbar scheuten vor allem die jungen Spielerinnen den Austausch mit dem Trainerteam, das übrigens unverändert weiterarbeitet.

Nicht allzu weit wollte die 125-fache Nationalspielerin die Pforte für eigene Versäumnisse öffnen: Für ihre umstrittene Aufstellung zum Schweden-Spiel mit der ins defensive Mittelfeld versetzten Stürmerin Alexandra Popp, der Hereinnahme der bis dahin nur als Randfigur geltenden Linda Dallmann oder der Einwechslung der an einem Zehenbruch leidenden Spielmacherin Dzsenifer Marozsan habe es in jedem Einzelfall Gründe gegeben, „aber am Ende war das in der Summe vielleicht ein Ticken zu viel Veränderung“. Indirekt räumte Voss-Tecklenburg damit eigene Fehler ein, aber nur ein bisschen.

Ansonsten strotzt die Powerfrau vom Niederrhein schon wieder vor Tatendrang, und will auch viel Zeit für einen konstruktiven Meinungsaustausch mit den zwölf (männlichen) Trainern der Frauen-Bundesliga verwenden. Bereits am Montag nächster Woche treffen sich die Nationalspielerinnen in Kassel für die ersten EM-Qualifikationsspiele gegen Montenegro am 31. August (12.30 Uhr/ARD) und das Auswärtsspiel in Lwiw gegen die Ukraine drei Tage später (16 Uhr/ZDF) sind bis auf die zurückgetretene Lena Goeßling und die verletzt fehlenden Marina Hegering und Almuth Schult – die aber beide nach Kassel kommen sollen – alle WM-Kräfte nominiert.

Gemeinsam sollen erst einmal die Rückschlüsse aus Frankreich aufgearbeitet werden. Für personelle Veränderungen etwa in der Stammbesetzung der Innenverteidigung ist dann immer noch Zeit. Nur dass es in Zukunft nicht einfacher wird – erst recht nicht bei der EM 2021 in England – steht für sie fest. „In den letzten acht Jahren hat es im Frauenfußball einen Quantensprung gegeben.“ FRANK HELLMANN

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