Weltmeisterin auf der Ersatzbank

von Redaktion

Pauline Schäfer muss bei der Turn-WM in die Reserve-Rolle schlüpfen – Nguyen angeschlagen

VON HANNA RAIF

Stuttgart – Kim Bui saß keine zwei Meter neben Pauline Schäfer, als sich alle Blicke im Raum „Eberhard Gienger“ des Kunstturnforums Stuttgart auf ihre Mannschaftskollegin richteten. Das Wort „Ersatz-Frau“ war aus dem Mund von Bundestrainerin Ulla Koch gefallen, und Kim Bui kennt dieses nur allzu gut. Heute ist die 30-Jährige eine feste Größe im Turnteam der deutschen Frauen, gemeinsam mit Elisabeth Seitz, der WM-Dritten am Stufenbarren, wird sie die Riege bei den Heimtitelkämpfen von 4. bis 13. Oktober anführen. Bei der letzten WM in Stuttgart 2007 aber war Bui in jener Rolle, in die nun die 22 Jahre alte Schäfer schlüpfen muss. Und das als Weltmeisterin.

„Natürlich bin ich traurig, aber so geht es halt im Sport“, sagte Schäfer tapfer, als die Entscheidung für Bui, Seitz, Sophie Scheder, Sarah Voss und Emilie Petz – und somit gegen sie – öffentlich verkündet wurde. Man sah der jungen Dame, die dem DTB vor zwei Jahren am Schwebebalken die erste WM-Goldmedaille nach rund drei Jahrzehnten beschert hatte, die Enttäuschung an. Neben ihr wurde gelacht und gescherzt, die Stimmung ist gut auf der Mission Olympia-Ticket, das vor ausverkaufter Halle in gut zwei Wochen gelöst werden soll. Schäfer nimmt „die Aufgabe an“, freilich hat sie aber daran zu knabbern, dass die „Zehntelentscheidung“, wie Koch das Rennen um die Plätze bezeichnete, für sie negativ ausgefallen ist.

Auch Koch war daran gelegen, immer wieder auf „die starke sechste Turnerin“ hinzuweisen. Einerseits, weil Schäfer ihr am Herzen liegt, andererseits aber auch, um auf das Luxusproblem hinzuweisen, das der Job als Cheftrainerin des stark entwickelten Frauen-Turnens mit sich bringt. Obwohl unter anderem in Tabea Alt eine ihrer Stärksten verletzungsbedingt passen muss, hatte sie eine schwere Qual der Wahl. „Am Computer und ohne Bauchgefühl“ wurde letztlich entschieden. Ähnlich ist auch Herren-Cheftrainer Andreas Hirsch vorgegangen, wobei der von einer derartigen Auswahl an Spitzenkräften nur träumen kann.

Das Männer-Team steht seit ein paar Tagen fest – und doch schon wieder auf wackeligen Beinen. Wie gestern bekannt wurde, muss nämlich ausgerechnet Routinier Marcel Nguyen aufgrund einer angerissenen Supraspinatus-Sehne in der linken Schulter kürzertreten. „Schauen, was Sinn macht“, will der Unterhachinger nun, anstatt an allen sechs Geräten wird er wohl nur an vier bis fünf antreten können: „Und wenn die Sehne reißt, dann reißt sie.“ Es wird alles probiert, weil „wir Marcel brauchen“, sagte Hirsch.

Während die Frauen-Riege letztes Jahr bei der WM in Doha unter den Top 8 war, verpassten die Männer das Teamfinale. Das Feld ist eng, es geht um jedes Zehntel. So ist das im Turnen. Genau wie bei der Entscheidung gegen Schäfer.

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