„Kimmich ist zweimal Weltklasse“

von Redaktion

Lothar Matthäus über die Champions-League-Chancen der deutschen Clubs

München – Er ist deutscher Rekordnationalspieler, war Trainer bei Partizan Belgrad und kennt den europäischen Fußball wie kaum ein anderer. Sky-Experte Lothar Matthäus, 58, prüft die Chancen der deutschen Champions-League-Teilnehmer, äußert sich zum Torwart-Duell in der Nationalmannschaft und adelt Joshua Kimmich vom FC Bayern.

Herr Matthäus, was erwarten Sie von der diesjährigen Königsklassen-Saison?

Ich hoffe auf zwei Dinge: Dass wir genau so gute Spiele wie vergangene Saison sehen – das war höchstes Niveau. Und dann hoffe ich auf bessere Ergebnisse der deutschen Mannschaften. Es gibt vom Namen her in der Gruppenphase schon einige Partien, die auf Viertel- oder Halbfinal-Niveau sind.

So wie das Duell zwischen Dortmund und Barcelona

Ja. Ich glaube, der BVB trifft zum richtigen Zeitpunkt auf Barcelona – auch weil Lionel Messi an der Wade verletzt ist. Schade einerseits, weil man als Spieler ja nicht nur gegen die Besten der Besten spielen will, sondern weil die Zuschauer die ja auch sehen wollen. Aber für Dortmund ist es natürlich ein Vorteil, gerade in dieser Gruppe, wo mit Inter Mailand noch eine dritte Kraft dabei ist. Darum ist es schon ein richtungsweisendes Spiel – nicht nur für Dortmund, sondern auch für Barcelona.

Welche dieser drei Mannschaften bleibt auf der Strecke?

Diese Gruppe wird einer verlassen, der nicht damit rechnet: Inter tut das nicht, Dortmund auch nicht und Barcelona schon mal gar nicht. Aber ich sehe bei diesen drei Mannschaften gar keinen großen Unterschied. Die Dortmunder müssen ihre Heimstärke ausspielen und diese Partien gewinnen.

Wie wichtig ist für den BVB ein Mats Hummels mit seiner langjährigen CL-Erfahrung?

Wir sprechen immer von Erfahrung, ich spreche lieber von Qualität. Die Dortmunder haben die Qualität, um einen der ersten beiden Gruppenplätze zu erreichen. Klar hilft die Erfahrung von Mats Hummels. Er braucht allerdings auch seine Zeit, sich an das Dortmunder System und seine neuen Mitspieler zu gewöhnen. Aber natürlich ist er nach wie vor einer der besten Innenverteidiger, die wir in der Bundesliga haben.

Mit Barcelona kommt auch Marc-André ter Stegen nach Deutschland. Die Stimmung zwischen ihm und Manuel Neuer ist nach den jüngsten Aussagen angespannt.

Ich verstehe Manuel Neuer, dass er sagt: Die Aussagen von ter Stegen nerven mich ein bisschen, das stört den Teamgeist. Aber ich verstehe auch ter Stegen hundertprozentig. Er bringt seit zwei Jahren super Leistung, hat sich während der Weltmeisterschaft 2018 mehr als fair verhalten, als Neuer quasi ohne Spielpraxis im Tor stand. Und ich verstehe Jogi Löw: Er vertraut einem Torhüter, der sich ja nichts zuschulden kommen lässt und im Moment überragend hält. Ich weiß zwar nicht, welche Absprache Löw mit ter Stegen hatte, aber es ist doch normal, dass der Trainer den Torhüter nicht wechselt, wenn er ihm keinen Grund gibt.

Inwiefern?

Das war früher bei Franz Beckenbauer genau so: Uli Stein war im Training und in der Bundesliga vielleicht besser, aber Toni Schumacher hat sich bei der Nationalmannschaft nichts zuschulden kommen lassen. Darum hat Franz auch nicht gewechselt. Die Situation bei Neuer und ter Stegen erinnert mich an die Weltmeisterschaft 1986. Es ist doch gut, wenn ter Stegen unzufrieden ist – alles andere wäre nicht normal. Vor allem wenn er der Meinung ist, dass er in den vergangenen zwei Jahren bessere Leistungen gezeigt hat. Aber Manuel Neuer war ja auch lange verletzt, das darf man nicht vergessen.

Was erwarten Sie von Neuer und seinen Bayern in der Königsklasse?

Es ist natürlich nicht der Anspruch des FC Bayern, im Achtelfinale auszuscheiden, Daraus resultierte eine große Unzufriedenheit im Verein. Allerdings ist man gegen Liverpool ausgeschieden, den späteren Champions-League-Sieger. Zu diesem Zeitpunkt hatte man keine Stabilität, viele wichtige Spieler waren nicht in Höchstform. Ich hätte das Spiel gegen Liverpool gerne mal zwei Monate später gesehen, als der FC Bayern die Dortmunder noch eingeholt hat. Diese Saison hat sich der FC Bayern wieder höhere Ziele im internationalen Wettbewerb gesteckt.

Das bedeutet auch großen Druck für Niko Kovac.

Wir reden immer über Druck. Niko Kovac hat bisher einen guten Job gemacht, ich sage bewusst nicht „sehr guten Job“, weil im ersten halben Jahr unter Niko Kovac doch einiges nicht gut gelaufen ist: Unruhe im Verein, unnötige Diskussionen auch außerhalb des Platzes, den Abschied von Arjen Robben und Franck Ribéry moderieren. Es war nicht einfach, das alles zu managen – und dann auch noch in der einen oder anderen Phase nicht die Rückendeckung von außen zu erhalten, wie es sich ein Trainer gerne wünscht. Niko lag am Boden, hat es am Ende aber jeden gezeigt und ich bin wirklich froh und glücklich, dass er aufgestanden ist und zurückgeschlagen hat.

Mit dem Double?

Er hat sich nicht unterkriegen lassen und ist seinen Weg gegangen. Am Ende hat er das Double gewonnen und ich glaube, das hätte man davor unterschrieben. In diesem Jahr kann Niko einen neuen Anlauf machen in der Champions League, die Qualität der Mannschaft ist da. Der Kader ist gut aufgestellt – auch in der Breite. Darum zählt der FC Bayern für mich auch zu den fünf Favoriten auf den Titelgewinn.

Im Kader fehlt allerdings ein Ersatz für Torgarant Robert Lewandowski.

Es gibt schon Spieler, die diese Position vorne spielen können. Und ich rede da gar nicht mal von Thomas Müller, sondern eher von Serge Gnabry, der ja auch beim DFB oft vorne in der Spitze spielt. Selbst einen jungen Spieler wie Fiete Arp kann man mal vorne bringen, wenn Bayern dominant spielt – und das tut die Mannschaft ja meistens. Aber klar: Robert Lewandowski ist nicht eins zu eins zu ersetzen. Das ist Messi bei Barcelona aber auch nicht oder Cristiano Ronald bei Juventus Turin. Solche Spieler mit so einer Qualität gibt es eben nur einmal.

Ist Coutinho auch so ein Unterschiedsspieler?

Ich beurteile ihn noch nicht, dafür waren seine Einsatzzeiten bisher zu kurz. Ich messe ihn dann in ein paar Wochen, wenn er in Spielen wie gegen Tottenham oder Dortmund seine Leistung gezeigt hat -– oder auch nicht. Der Spieler, der für mich auf diesem Top-Niveau absolut den Unterschied macht, ist Robert Lewandowski. Gleiches gilt meiner Meinung nach übrigens für Joshua Kimmich. Auf ihn kann man sich auch immer verlassen. Es ist als Rechtsverteidiger und Sechser Weltklasse, das hat selten ein Spieler geschafft. Ich kann mich noch an Philipp Lahm erinnern, aber das war es dann schon. Aber auch Manuel Neuer ist aktuell wieder in Weltmeister-Form.

Bei Leverkusen macht Kai Havertz meist den Unterschied – kann er das auch auf Königsklassen-Niveau?

Er spielt jetzt für alle Top-Clubs Europas vor und kann es allen zeigen. Er steht ja nicht nur beim FC Bayern auf dem Wunschzettel. Wobei es schwer wird, die Leistung aus der vergangenen Saison zu wiederholen. Was er vergangenes Jahr gezeigt hat in seinen jungen Jahren: Diese Qualität über diese lange Zeit zu bringen, wichtige Tore zu schießen, Verantwortung zu übernehmen, Leidenschaft und Intelligenz zu zeigen – das ist für mich einfach bewundernswert. In der Bundesliga hat er bereits abgeliefert, und seine Qualität ist so groß, dass er gegen europäischen Top-Mannschaften Glanzpunkte setzen kann.

Zum Abschluss: Was erwartet die Bayern gegen Roter Stern Belgrad? Sie haben den Lokalrivalen Partizan trainiert.

Für mich sind sie zu Hause wesentlich stärker. Das haben sie vergangene Saison bewiesen, als sie 2:0 gegen Liverpool gewonnen haben. Am Mittwoch wird es normalerweise eine klare Sache für den FC Bayern. Auswärts muss man dann mit der Atmosphäre klarkommen, mit den heißblütigen Fans. Im Duell um Platz eins schätze ich Bayern stärker als Tottenham ein.

Interview: Manuel Bonke

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