München – Sie hatte es ein bisschen spannend gemacht. Zwar präsentierte sich Christina Hering in diesem Sommer konstant in guter Form, bei der Universiade in Neapel hatte sie sogar Silber geholt, doch die WM-Norm knackte sie erst Ende August in einem extra zu diesem Zweck organisierten 800-Meter-Rennen in Pfungstadt. Dort teilte sich die 24-Jährige die Tempoarbeit mit Katharina Trost, ihrer Teamgefährtin von den Stadtwerken München, und am Ende erfuhr sie via Lautsprecher von ihrem Glück. Die Siegerzeit von 1:59,41 Minuten wurde durchgesagt. Das bedeutete persönliche Bestzeit, WM- und Olympiaqualifikation. „Das war ein Moment, in dem alle Gefühle hochkamen, das war super-emotional“, erzählt Hering.
Die in München geborene Studentin wird somit in Doha an ihrer dritten Leichtathletik-WM teilnehmen. Die Vorläufe sind schon am Freitag zum Auftakt, und mit dabei sein wird auch Katharina Trost, die im Pfungstadter Lauf mit 2:00,36 Minuten ebenfalls noch die Norm erfüllte. Die beiden sind übrigens die einzigen Starter aus Bayern bei den globalen Titelkämpfen. Eine betrübliche Tatsache für die bayerische Leichtathletik. Für Hering aber der Lohn für ihre Beharrlichkeit, nachdem das WM-Jahr im Februar mit einem Bänderriss im Fußgelenk unglücklich begonnen hatte. „Die Vorfreude auf Doha ist groß“, sagt sie.
Die Münchnerin kann auch nicht schrecken, dass sie in der Wüste mit enormen Hitzegraden konfrontiert sein wird. „Ich bin ja schon öfter an Orten gelaufen, wo das Klima extrem war“, meint sie, „vor drei Jahren bei den Olympischen Spielen in Rio hatten wir im Vorlauf Temperaturen von 36 Grad. Bei der Universiade in Taipeh kam noch diese hohe Luftfeuchtigkeit dazu.“ Die größte Gefahr sei, dass man sich erkälte. „Bei diesen Wechseln zwischen sehr heißen Temperaturen und den heruntergekühlten Räumen muss ich schon aufpassen, dass mein Immunsystem das verträgt.“
Was ihre sportliche Konkurrenzfähigkeit angeht, ist die 1,85 Meter große Mittelstrecklerin guter Dinge. Schon bei den Deutschen Meisterschaften in Berlin, wo sie ihren fünften nationalen Titel seit 2014 holte, habe sie gemerkt, „dass die Zielgerade meine Stärke ist. Darauf konnte ich mich die ganze Saison verlassen.“ Auch in Pfungstadt nahm sie ihrer Konkurrentin Katharina Trost im Finish noch eine knappe Sekunde ab. „Ich habe dabei gemerkt, dass mein Wille extrem groß war, die Qualifikationszeit zu schaffen. Dass ich am Ende noch so aufdrehen konnte und so gut wie kein Tempo auf den letzten Metern verloren habe, war natürlich super“, erinnert sie sich.
In Doha wird eine übermächtige, für sie unschlagbare Rivalin fehlen. Die Südafrikanerin Caster Semenya kapitulierte vor der Testosteron-Obergrenze, die vom Leichtathletik-Weltverband IAAF eingeführt wurde. Die Olympiasiegerin und Weltmeisterin, deren männliches Erscheinungsbild immer wieder für Kontroversen sorgt, hätte mit Medikamenten ihren Testosteronwert senken müssen. Die 28-Jährige weigerte sich, die WM wird somit ohne sie stattfinden.
„Ich finde es schon sehr schwierig, ihr das Startverbot zu erteilen“, sagt Hering. „Auf der anderen Seite nehme ich es als gegeben hin.“ Aufgrund Semenyas Absenz „fühle ich mich ein bisschen näher an der Weltspitze“. Semenya habe in den vergangenen Jahren immer konstant Leistungen von 1:55, 1:56 Minuten gebracht. „Das sind halt einfach drei, vier Sekunden Unterschied zu meiner Bestzeit.“ Die Zeit der schnellsten WM-Starterin liegt jetzt bei 1:57 Minuten. „Das ist ein Bereich, der sich irgendwie machbar anfühlt – und nicht so weit weg.“
Wie sie grundsätzlich den Fall Semenya sehe? Hering meint: „Es war definitiv notwendig, dass eine Entscheidung getroffen wurde. Es war schon irgendwie klar ersichtlich, dass sie andere körperliche Voraussetzungen hat.“ Zugleich schränkt sie ein: „Ob es jetzt die richtige Entscheidung war, kann ich nicht beurteilen.“
Semenya und auch die anderen absoluten Spitzenläuferinnen sind für die Münchnerin ohnehin nicht der Maßstab. Bei den vergangenen zwei Weltmeisterschaften erreichte sie jeweils das Halbfinale. Somit lautet ihre Marschroute: „Ich will zeigen, dass ich ins Halbfinale gehöre – und nicht einfach so reinrutsche. Das ist superwichtig für mich.“
In den zurückliegenden knapp vier Wochen konnte sich Christina Hering ganz auf die WM-Vorbereitung konzentrieren. „Das war sehr trainingsintensiv.“ Und ganz offensichtlich auch mit dem gewünschten Effekt verbunden. „Ich bin wirklich in Topform. Vielleicht war ich noch nie fitter“, sagt sie. Ob da vielleicht nicht doch der Sprung in den Endlauf möglich ist? „Ich werde auf jeden Fall darum kämpfen“, meint sie: „Das Finale ist mein großer Traum.“