München – Die Frau am anderen Ende der Leitung in Belgrad ruft nur laut: „Petar, München!“ Das reicht, um ihren Ehemann sofort in Bewegung zu setzen. Schon nach wenigen Sekunden meldet sich eine kräftige Stimme. Und sie kommt einem vor, als hätte sie sich nie verändert. Petar Radenkovic findet sofort zu dem vitalen, serbo-bajuwarischen Ton, den seine Fans seit den frühen 60-er Jahren kennen. Seit jener Zeit also, als der frühere Torhüter des TSV 1860 München ein Fußball-Star war – und sein Publikum mit einzigartigen Paraden und Späßen unterhielt. Seinen 85. Geburtstag feiert er am kommenden Dienstag. Und hörbar erfreut über den Anfruf aus jener Stadt, in der er berühmt wurde vor über einem halben Jahrhundert, sagt er: „Ich fühle mich sehr wohl, ich genieße das Leben.“
Radenkovic – den ein Rundfunkreporter einst Radi taufte – strahlt also immer noch jene Lebensfreude aus, die nicht wenig dazu beitrug, dass er bei den Münchner Löwen zu einer Kultfigur wurde. „Goldene Zeiten waren das“, erinnert er sich. Und gern denkt er an seine zweite Heimat zurück: „Ich fühlte mich immer, als wäre ich in München geboren.“ Doch in einem Punkt schwingt beim Radi inzwischen arge Bitterkeit mit. „Ich bin von der Führung von 1860 sehr enttäuscht“, sagt er: „Aus diesem Grund gehe ich auch nicht mehr ins Sechziger-Stadion.“
Harte und auch traurige Worte sind das. Schließlich galt Radenkovic einst als König von Giesing, als der Mann, der für die grandiosen Erfolge der Löwen stand: Pokalsieg 1964, Europacup-Finale 1965, deutsche Meisterschaft 1966. Nicht von ungefähr sang er: „Bin i Radi, bin i König!“ In den Hitparaden schaffte er es mit diesem musikalischen Selbstporträt bis ganz nach oben. 400 000 Scheiben wurden davon verkauft, in den bayerischen Charts wechselte er sich mehrmals mit den Beatles („A ticket to ride“) auf dem Spitzenplatz ab.
Im Refrain seines Hits, den jedes Kind in München kannte, heißt es: „… und das Spielfeld ist mein Königreich.“ Da war viel Wahres dran, wobei Radenkovic seine Spielräume auch zu fast schon kabarettistischen Einlagen nutzte. „Humor ist eines der wichtigsten Dinge“, sagt er, „mein Stil war attraktiv, die Leute haben sich nie gelangweilt.“ Zu Radis Stil gehörten Solis über das ganze Spielfeld. Ein stürmender Torwart? Das war zuvor in Fußball-Deutschland nicht vorstellbar gewesen.
Kabarettreif war zum Beispiel seine Aktion bei einem Freundschaftsspiel gegen Kickers Offenbach. Nationalspieler Berti Kraus zog aus 30 Metern ab, Radenkovic hielt den Ball – und warf ihn zum Stürmer zurück mit der Bemerkung: „Versuch’s nochmal.“ Auch der zweite Schuss wurde Radis sichere Beute. Auf der Tribüne saß der große Kabarettist Dieter Hildebrand, ein eingefleischter Löwen-Fan, der die Szene prompt in einen Sketch einbaute.
Häufig im Fernsehen wiederholt wurde eine spektakuläre Momentaufnahme, die Radenkovic als Multi-Tasking-Talent zeigte: Mit der einen Hand fuchtelte er wild, um dem Schiedsrichter eine angebliche Abseitsstellung zu signalisieren – mit der anderen Hand wehrte er gleichzeitig einen Scharfschuss ab.
Zum geflügelten Wort wurde auch Radenkovics Selbsteinschätzung: „Bestes Torwart von Welt.“ Der Superlativ erinnerte – wohl nicht ganz ungewollt – an den Boxer Cassius Clay alias Muhammed Ali, dem Superstar dieser Zeit. Dessen Credo lautete: „I am the greatest.“ Ich bin der Größte.
Sicher, Radenkovic war einer der weltbesten Torhüter seiner Ära, aber seine enorme Popularität, die ihm sogar bei Auswärtsspielen den Beifall der gegnerischen Fans bescherte, schöpfte er aus seiner Begabung als extrovertierter, charmanter Showman. Die Fußball-Fans hatten ihre helle Freude am dribbelnden, singenden, feixenden Torwart, der sich wenig um die Konventionen scherte. „ … was die andern Leute sagen, ist mir gleich, gleich, gleich“, sang er. In den 60-er Jahren taten sich die so disziplinierten, arbeitssamen, gehorsamen Deutschen noch etwas schwer mit dem Lässig- und Unbeschwertsein. Alles war noch etwas steif, normiert, auch spießig in der Adenauerzeit, die ungefähr so bunt erschien wie das damalige Schwarz-Weiß-Fernsehen. Da fiel ein so schillernder Entertainer wie Radenkovic ganz besonders auf.
Für Schlagzeilen sorgte zudem sein Dauerzwist mit Trainer Max Merkel, Meistermacher und Wiener Erz-Grantler. „Fußballerisch haben wir uns bestens verstanden.“ Ansonsten aber überhaupt nicht. „Er war ein Zyniker. Er hat Spieler vernichtet und sie krank gemacht.“ Die Fehde eskalierte in der Saison nach der Meisterschaft. Merkel hatte fast die ganze Mannschaft gegen sich aufgebracht, im Training beleidigte er Radenkovic mit einem Schimpfwort („jugoslawische Sau“), nur mit Mühe konnten die Teamgefährten verhindern, dass der in Rage geratene Radi handgreiflich wurde. Bald darauf kam es im Mannschaftskreis zur Abstimmung: 17 von 20 Spielern waren gegen Merkel, der Coach musste gehen.
Der Abstieg der Löwen anno 1970 markierte zugleich Radenkovics Karriereende mit 36 Jahren. Er blieb jedoch in München, wurde Geschäftsmann, handelte mit Spirituosen („Radi-Slibovitz“), betrieb ein Wienerwald-Lokal, hatte eine Kneipe („Radis Treff“). Erst nach dem Tod seiner Frau Olga, mit der er 53 Jahre zusammen war, zog er sich in seine Geburtsstadt Belgrad zurück. Dort fand er sein spätes Glück und heiratete im Alter von 78 seine zweite Frau Slobodanka.
Nach München zieht es den Radi aber immer wieder zurück. Drei- bis viermal im Jahr besucht er die Stadt, in der er einmal ein großer Star war. Vor drei Wochen erst traf er sich mit den Meisterspielern Peter Grosser, Fredi Heiß und Bernd Patzke am Viktualienmarkt. Man habe über die alten Zeiten geplaudert, erzählt Grosser, und auch über die neuen. Wie der Radi darüber denke? Grosser, der schon als 1860-Kapitän gern Klartext sprach, meint: „Er ist total sauer und will mit dem Verein nichts mehr zu tun haben. Er hat sich von Sechzig frei gemacht.“