München – Liebesbriefe wird Leon Goretzka in seinem Leben schon einige bekommen haben, so ist das als Fußballprofi, smarter Mann und gestandener Athlet. Dieser eine besondere aber wurde ihm nicht heimlich in den Schulranzen gesteckt oder gar vom Postboten überbracht, sondern einfach im Internet veröffentlicht. Es ist ein langer Brief, ein rührender, und zum Ende heißt es: „Wenn Du dann ganz am Ende deiner Karriere noch Sehnsucht nach der Ostkurve, Grönemeyer und einem Stadion ohne Schiebedach verspürst, dann sehen wir weiter. Glückauf, Leon! Dein VfL.“
Die Zeilen wurden vor knapp zwei Jahren an Goretzka geschrieben, sozusagen von seinem Ex. Als der Nationalspieler damals im Trikot von Schalke 04 das „Tor des Monats“ geschossen hatte, widmete er die Auszeichnung direkt seinem Heimatverein. Der VfL Bochum, heute um 20 Uhr Gegner des FC Bayern in der zweiten Pokal-Runde, reagierte auf seine Art, gewohnt bescheiden, hinaufschauend zum großen Star, der in den eigenen Reihen gereift ist. Auch morgen wird der Bayern-Spieler verehrt werden, es wartet ein Wiedersehen der besonderen Art. 24 Jahre ist Leon Goretzka jung, von Karriereende noch weit entfernt. Lust auf Ostkurve, Grönemeyer und Traditions-Spielstätte hat er trotzdem. Vor der Reise in seine Heimat sagte er vorsichtshalber in so viele Mikrofone wie möglich: „Ich würde mich als bereit melden.“
Der Satz war nicht nur an die Medien gerichtet, sondern freilich auch an Niko Kovac, von dem Goretzka sich einen Startelf-Einsatz wünscht. Schon als er sich Anfang September im Kreise der Nationalmannschaft verletzte und der Weg auf den OP-Tisch unausweichlich war, hatte er im Kopf nachgerechnet. Knapp eineinhalb Monate blieben, „ich habe schon einen Blick in meinen Kalender geworfen“, sagte der Ex-Bochumer nach dem Spiel gegen Union Berlin am Samstag. Ein Testspiel zwischen Bochum und Schalke – vereinbart nach dem Wechsel des VfL-Urgesteins im Jahr 2013 – hatte er einst verletzungsbedingt verpasst, „das hat mich extrem geärgert. Wenn das jetzt noch mal der Fall gewesen wäre, wäre es doppelt bitter gewesen.“ Und die Chancen stehen gut, dass Kovac den Mittelfeldspieler gegen Bochum auflaufen lässt. „Leon war sieben Wochen raus, hat jetzt kurz gegen Augsburg und Union gespielt. Es sieht gut aus, dass er gegen seinen Heimatclub auflaufen darf“, sagte Kovac kurz vor der Dienstreise ins Ruhrgebiet.
Beim VfL Bochum kennt Goretzka jeden – auch heute noch. Fast seine gesamte Jugend verbrachte er beim VfL. „Zeugwart, Geschäftsstelle, Jugendtrainer“, es gibt „einige bekannte Gesichter, auf die ich mich freue“. Was für seine Kollegen eine Pflichtaufgabe ist, ist für ihn eine Reise in die Vergangenheit. Freunde und Familie freuen sich auf „ein besonderes Event“, wobei Bochum für den haushohen Favoriten kein Stolperstein sein soll. Goretzkas Motto: Glückauf, FC Bayern. Sportlich läuft es für Bochum mäßig, in der Zweiten Liga geht es für die Mannschaft von Trainer Thomas Reis um den Abstieg. Trotzdem wollen weder die Bayern noch Goretzka Rücksicht nehmen. Der Mittelfeldspieler sieht die Partie sportlich, und würde ein Tor dementsprechend feiern. Gut, „auf Knien in die Ostkurve begeben“, wolle er sich nicht: „Aber ich finde es ehrlich gesagt etwas übertrieben, gar nicht zu jubeln. Dann brauche ich gar kein Tor zu schießen, wenn ich mich nicht darüber freue. Das ist scheinheilig.“ Auch die Fans, so glaubt er, würden das „nicht kritisieren“.
Über ein „Tor des Monats“ würden sie sich wahrscheinlich sogar freuen. Dann könnten sie einen neuen Liebesbrief aufsetzen.