„Ich habe Mitleid mit Reisinger“

von Redaktion

Nach dem Bierofka-Rückzug wird bei 1860 ein neuer Trainer gesucht – und weiter gezankt

VON LUDWIG KRAMMER UND ULI KELLNER

München – Tag eins nach dem Biero-Beben. Gut ein Dutzend Trainingskiebitze sind an die Grünwalder Straße 114a gekommen, um bei ihrem Verein nach dem Rechten zu sehen. Was sie erleben, könnte unspektakulärer kaum sein: Es herrscht die Stille nach dem Schluss. Interimscoach Oliver Beer leitet die vormittägliche Einheit, auf dem Programm steht das Spiel mit limitierten Kontakten, dazwischen holt der Ex-Assistent des zurückgetretenen Daniel Bierofka die Profis im großen und kleinen Kreis zusammen. Normalität vorleben im Ausnahmezustand heißt das Motto. Doch wie geht’s weiter beim durchgeschüttelten TSV 1860? Der Überblick vor dem ersten Nach-Biero-Spiel am Samstag in Halle.

Was sagt Bierofka?

Der Ex-Trainer hat sich eine verbale Auszeit verordnet. „Ich brauche jetzt ein bisschen Zeit“, ließ er unsere Zeitung per Textnachricht wissen. In der offiziellen Pressemitteilung, die der Club am Vorabend um 23.06 Uhr verschickt hat, klingt Bierofka so: „Die letzten zweieinhalb Jahre waren sehr kräfteaufreibend. Für mich gilt es jetzt erst einmal die Tanks wieder aufzufüllen. Dazu will ich viel Zeit mit meiner Familie verbringen, die zuletzt viel zu kurz kam. Mit etwas Abstand werde ich mich dann aber sicher wieder dem Fußball zuwenden. Ich bedanke mich bei 1860 für das in mich gesetzte Vertrauen und auch das Verständnis für die nun getroffene Entscheidung, die sowohl für mich als auch den Verein die Beste ist. Ich werde diese intensive Zeit immer im Herzen behalten.“

Wann kommt ein neuer Trainer?

Sportgeschäftsführer Günther Gorenzel obliegt die Suche nach einem Nachfolger. Dass er es selbst macht, schließt der Österreicher aus: „Eine Lösung mit mir an der Seitenlinie wird es nicht geben, das gebührt der Respekt vor Daniel.“ In Halle wird Beer das Kommando haben, mangels Fußballlehrer-Lizenz ist der Ex-Zweitliga-Profi allerdings nur eine kurzfristige Lösung. Durch die Länderspielpause ist der Handlungsdruck abgemildert, die Gerüchteküche ist auf Betriebstemperatur: Namen wie Kenan Kocak (Ex-Sandhausen) und Jens Keller machen die Runde. Karsten Wettberg empfiehlt bei „Sport1“ Felix Magath: „Jetzt braucht man einen Mann, der aufräumt.“

Wie geht die Mannschaft mit der Situation um?

Ersten Eindrücken nach mit gebotener Professionalität. Öffentlich äußern wollte sich bis gestern niemand. Interimstrainer Beer gilt im Team als durchaus beliebt und respektiert, auch wenn er von Bierofka zuletzt zum zweiten Co-Trainer hinter Franz Hübl degradiert wurde. Hübl stand gestern nicht auf dem Platz – sein Schwerpunkt soll künftig wieder im Bereich der Videoanalyse liegen. Für das Spiel beim Halleschen FC muss Beer neben den Langzeitverletzten auch auf die angeschlagenen Timo Gebhart und Efkan Bekiroglu verzichten. Dazu wird auch Keeper Hendrik Bonmann mit hoher Wahrscheinlichkeit ausfallen.

Was bedeutet das Bierofka-Aus clubpolitisch?

Die Spaltung zwischen den Gesellschaftern und deren Anhängerschaft wird noch tiefer werden (falls dies überhaupt möglich ist). Am Mittwoch hat Hasan Ismaik dem BR in einem Hotel ein Interview gegeben – und natürlich hat es sich der Mehrheitsgesellschafter beim TSV 1860 nicht nehmen lassen, gegen die Führung des e.V. zu sticheln, dieses Mal aber auf eine etwas andere Weise als sonst. „Ich habe Mitleid mit Reisinger, weil er keine Entscheidungsgewalt mehr hat“, sagte Ismaik über den Löwen-Präsidenten und erklärte, wie er das meinte: Die Macht im Club haben laut Ismaik nämlich die Ultras und die Fan-Vereinigung „Pro1860“.

Dem Präsidium – und auch der Geschäftsführung – lastete der Investor aber den Rückzug von Bierofka an. Er könne nicht verstehen, dass diese nicht um den Trainer gekämpft hätten, schrieb er auf Facebook und erklärte: „Ich finde die Presseerklärung des Präsidiums heuchlerisch, worin es bekundet, dass für Bierofka die Tür bei 1860 immer offen sei.“ Zuvor hatte das Präsidium genau diese Botschaft öffentlich hinterlassen.

Was machen die Anhänger?

Auch denen steht die Tür offen. Am 14. November um 19 Uhr bei der Mitgliederversammlung der Fußballabteilung im „Zunfthaus“ am alten Südfriedhof, wo auch das Präsidium erwartet wird. Sicher ist: Die Stimmung wird noch lebhafter sein als sonst.

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