München – Karl Hopfner sieht blendend aus, das Rentner-dasein steht dem ehemaligen Geschäftsführer und Präsidenten des FC Bayern gut. Für den FC Bayern nimmt er sich trotzdem gerne Zeit – vor allen wenn es um einen langjährigen Weggefährten geht. Fast eine Stunde dauert das Abschieds-Interview über die Karriere von und das Wirken mit und neben Uli Hoeneß. Als Hopfner (67) aufsteht, sagt er: „Ich wünsche Uli, dass er nichts nachtrauert, sondern das Leben genießen kann und gesund bleibt.“
Herr Hopfner, Uli Hoeneß hört auf – der Rentner muss sich nun an die Rente gewöhnen, der Verein an ein Weiterleben ohne ihn. Was wird schneller gehen?
Das ist die Frage: Kann Uli Hoeneß ohne den FC Bayern? Oder kann der FC Bayern ohne Uli Hoeneß? Es war die Entscheidung von Uli, aufzuhören, einen Schritt zurückzutreten. Er hat den Verein extrem geprägt und sein Einfluss wird nach wie vor da sein, er ist ja im Aufsichtsrat. Und er hat ein Telefon, man kann ihn anrufen, ein Faxgerät als Ersatz für E-Mail, das angeschaltet bleiben wird.
Ist der Zeitpunkt richtig?
Ich möchte nicht sagen, dass er alt ist, aber jung ist er auch nicht mehr. Er hat einen tollen Nachfolger gefunden, ich kenne Herbert Hainer schon sehr lange und bin 100 Prozent d’accord, dass er der richtige Mann ist. Und es gibt ja noch weitere Umbrüche, auch im Vorstand der AG. Es ist der Zeitpunkt gekommen, in dem man sagen kann, er hat das Feld bestellt.
Wie ist es, wenn man aufhört: Zählt man die Tage rückwärts?
Ich weiß es von mir selbst. Man denkt gar nicht dran und überlegt nicht: Oh, bald ist es vorbei. Man bekommt keine Panik, speziell Uli ist zu sehr drin in dem Thema. Er denkt bis zum Schluss daran, wie es weitergehen könnte, was für den FC Bayern das Beste ist.
Erzählen Sie, wie es damals für Sie war auf dem Weg zu ihrer letzten Jahreshauptversammlung.
Bei mir war es anders, weil mein Wunsch war, früher rauszugehen. Ich hatte in der Situation, als Uli in Haft musste, so viel Dankbarkeit gegenüber dem Verein gespürt, dass ich diese zweieinhalb Jahre gerne überbrückt habe. Keiner sagt, ich hätte das schlecht gemacht. Anders als Uli, aber das ist ja okay. Bewusst geworden, dass es endgültig vorbei ist, ist es mir dann erst auf der Jahreshauptversammlung, wenn Leute aufstehen und applaudieren. Erst dann, auf dieser Bühne, wenn das letzte Wort gesprochen ist, kommt Emotionalität, von allen Seiten.
Sie galten stets als einer, der gerne im Hintergrund wirkt, Hoeneß ist eher das Gegenteil davon. Wie wird sein Abschied sein?
Es wird genauso emotional sein, aber anders emotional. Ich könnte mir schon vorstellen, dass Uli die eine oder andere Träne verdrücken wird. Und zahlreiche andere auch.
Und was passiert am Samstag? Ein ruhiges Frühstück des Ehepaars Hoeneß am Tegernsee?
Wie ich Uli kenne, hat er einen Terminplan, der weit ausgebucht ist. Er wird nicht zu Hause sitzen oder für die Susi einkaufen gehen.
Worte wie „ich tue alles für den FC Bayern, aber nichts für mich“ haben sein Wirken geprägt. Wird diese menschliche Seite fehlen?
Dass er ein großes Herz hat, weiß jeder. Auch, dass jeder immer zu ihm kommen kann. Er hat aber aus Wohlgefallen viel zugesagt, vielleicht ist er auch mal enttäuscht worden. Menschenkenntnis ist bei ihm Gutgläubigkeit – die kann auch böse Folgen haben.
Hat er ein Helfersyndrom?
Das kann man so sagen. Er hilft und erst anschließend prüft er, was aber nicht immer negativ sein muss. So ist er nun mal, immer spontan.
Kann er „Nein“ sagen?
Das Wort Nein hat er – wenn überhaupt – erst sehr spät gelernt, das muss irgendwann in der Lebensleistung extra gekommen sein (lacht). Bezogen auf Helfer-Geschichten fällt ihm das immer noch schwer. Dabei muss man aus Gerechtigkeitsgründen gegenüber anderen auch manchmal Nein sagen.
Sie kennen Uli Hoeneß seit fast vier Jahrzehnten. Wie hat er sich verändert?
Es klingt für einen Außenstehenden vielleicht nicht glaubhaft, aber er ist ruhiger geworden (lacht). Das ist wirklich so. Früher war das ein ganz anderes Arbeiten, Uli und ich waren hier mit ein paar Mitarbeitern. Und er hat wirklich immer alle angetrieben. Er ist Frühaufsteher, er hatte nie einen Acht-Stunden-Tag, er war immer da. Aber zum Wohl des Clubs – das muss man dazu sagen.
Erinnern Sie sich an Ihre erste Begegnung?
Die war im Frühjahr 1983, nachdem feststand, dass das Präsidium mir den Anstellungsvertrag geben wird. Ich kannte ihn, er kannte mich nicht – wie es halt so ist (lacht). Wir waren am Anfang per Sie, per Du seit 1984.
Es hat also gedauert?
Ja, aber das ist doch normal. Es gibt die kurzen Hosen und die langen Hosen. Vertrauen muss man sich gegenseitig erarbeiten. Er ist der Ältere – ein halbes Jahr älter – , also hat er mir das Du angeboten.
Welche Sieges-Zigarre schmeckte am besten?
Die erste Meisterschaft 1985, die war schon die intensivste. Das war alles klein, zur Meisterfeier kamen maximal 50 Leute, das war toll. Und dann gab es natürlich den Champions-League-Sieg 2001, zwei Jahre nach der großen Katastrophe 1999. Aber auch Spiele, in denen man auswärts bei Barcelona und Madrid gewonnen hat. Da muss man den Augenblick genießen.
Wie waren Verhandlungen mit Hoeneß?
Uli hat die Gabe gehabt, es immer ziemlich schnell auf den Punkt zu bringen. Und er konnte auch den Spieler überzeugen, dass er zu uns kommen soll und muss. Die andere Stärke ist dann aber auch in der Verhandlung – und beim Preis hat er auch mal Nein gesagt. Er ist ein Zahlenmensch, ein akribischer.
Der schwerste Transfer?
Vielleicht der Ribéry-Transfer. Da gab es viele Reisen, auf denen Karl-Heinz, Uli und ich in ganz Europa waren, um mit Marseille zu verhandeln.
Muss man den Emotionsmenschen Hoeneß da manchmal runterholen?
Nein, das kann ja auch positiv sein. Aufstehen, rausgehen, wiederkommen – das ist ja auch eine Verhandlungstaktik. Aber er war auch in dem Fall überragend darin, dem Spieler die Überzeugung zu geben. Das ist großartig!
Dieser hochrote Kopf hat Bilder von ihm geprägt. Wird ihm das gerecht?
Er hat einfach das Interesse des FC Bayern im Kopf. Und wenn da etwas dagegen kam, dann ist ihm die Hutschnur geplatzt. Und wenn ihm die Hutschnur geplatzt ist, dann wurde der Kopf rot. Das ist aber nichts Negatives, sondern eine Auszeichnung und auch eine Erkenntnis, dass er hinter dem steht, was er gemacht hat. Oder wenn der FC Bayern angegriffen wurde, dass er dagegengehalten hat. Er war zwar Stürmer, aber in dem Fall war er Verteidiger.
Wie nah lässt er Feindseligkeit an sich heran?
Sie wurmt ihn. Er ist ein Überzeuger, er versucht dann immer, auch noch die anderen zu überzeugen. Aber es gelingt ihm nicht immer.
Und was passiert, wenn man ihm sagt, dass er falsch liegt?
Man kann mit ihm diskutieren, aber hinter verschlossenen Türen. Das ist oft gemacht worden.
Mit welchem Resultat?
Er kommt in eine Überlegungsphase. Wie die ausgeht, weiß man erst später (lacht).
Waren Sie – das legendäre Dreiergespann – auf der Tribüne eigentlich meist einer Meinung?
Uli war auf der Tribüne sehr ruhig, ich war in der Mitte der Puffer, und Karl-Heinz Rummenigge redet während des Spiels ja in einer Tour. Uli explodierte dafür ab und an.
Musste man sich in Zeiten von Lippenlesern irgendwann zusammenreißen, was man sagt?
Nein, das kann man doch gar nicht in all der Emotion. Außerdem hatten wir drei Dialekte: Schwäbisch, bayerisch, westfälisch. Das ist für Lippenleser schwer (lacht).
Was ist das zwischen Hoeneß und Rummenigge? Eine Hass-Liebe?
Überhaupt nicht! Es war auch oft eine Interpretationssache von außen. Dass es intern hinter verschlossenen Türen mal differenzierte Meinungen gibt, kontrovers diskutiert und auch mal gestritten wird, ist doch keine Frage. Das gehört aber dazu. Wenn zwei das Gleiche tun, kann man sich einen sparen. Insofern sehe ich die Beziehung der beiden nicht negativ, nie.
Werden Hainer/Kahn/Dreesen ein ähnlich legendäres Bild abgeben?
Es ist eine andere Zeit gekommen, das darf man nicht vergessen. Das Führungsteam ist größer geworden. Da wird es also nicht mehr dieses eine Bild geben, sondern mehrere.
Hoeneß lebt die Tradition, auch bei der Kommunikation. Wie viele Faxe haben Sie ihm geschrieben?
Noch kein einziges. Uli und ich haben immer telefoniert.
Muss ein Boss nicht mit dem Fortschritt gehen?
Ein Handy hat er, und man kann auch nicht behaupten, dass er nicht telefonieren kann. Aber ich glaube, es ist eine Ansichtssache – und du kannst den Stil nicht ändern. Vielleicht ist es auch ein bisschen Eigenschutz gewesen.
Eine Masche?
Masche ist das falsche Wort. Aber wenn am Sonntag den ganzen Tag das Telefon läutet, ist der Sonntag kaputt. Und so kann er seine Faxe sammeln, die Arbeitszeit auf ein, zwei Stunden konzentrieren und zurückrufen. Die Frage ist: Muss man wirklich moderner sein? Er hört jetzt auf in seiner Position, Herbert Hainer kann E-Mail, Whats App, all das. Das ist logisch, weil er von einer Weltfirma kommt, wo der Umgang einfach anders ist. Hätte Uli sich entschieden, Präsident zu bleiben, bin ich mir sicher, dass er sich dem geöffnet hätte. Aber warum sollte er das jetzt noch machen? Die Abschiedsfaxe kann er jetzt auch noch empfangen…
Immerhin Börsen-Pager kannte er früh.
Interesse an wirtschaftlichen Fragen hatte er immer, an Börsenkursen, Devisenkursen. Inwieweit er sich da aber engagiert hat, ist hier im Beruf nicht bekannt oder gar ein Hindernis gewesen. Er hat sich da nicht ablenken lassen, die Prioritäten falsch gesetzt. Dass dann einiges schiefgelaufen ist, ist ja bekannt.
Es kam der Tag 0, der Tag seiner Verurteilung. Die Gewissheit, dass Sie ihn vertreten. Sie haben nicht lange überlegt.
Mich haben einige Leute im Verein angesprochen, aus der Verpflichtung und Dankbarkeit heraus war es für mich klar, dass ich es mache. Ich wollte das aber für mich persönlich wirklich nur für den Übergang von drei Jahren machen. Ich habe auch nicht gezögert, die Periode bis zur nächsten Hauptversammlung zu kürzen – und somit auch meine Amtszeit.
Haben Worte wie „Platzhalter“ Sie kaltgelassen?
Irgendwann hat es mich genervt. Denn ich habe ja auch was bewegt. Ich habe bewusst angefangen, den Campus zu bauen, und das auch voll durchgezogen. Ich hoffe, dass da Früchte rauskommen.
Nach der Haftzeit hieß es, er sei ruhiger geworden, wolle sich etwas zurücknehmen. Täuscht der Eindruck, oder hat sich das wieder geändert?
Er musste sich erst mal wieder reinarbeiten, reinknien. Dass er ruhiger geworden ist, war ein langer Prozess, begonnen bei seiner Anfangszeit. Dass er jetzt wieder –wenn es beim FC Bayern nicht so lief, wie er es sich vorstellt – emotionaler und empathischer wird, halte ich für normal. Das ist doch auch seine Aufgabe, da Klartext zu reden. Ob die Wortwahl dann immer die richtige war, lassen wir mal dahingestellt.
Kritiker sagten, Hoeneß sei am Ende mehr als „ganz der Alte“ gewesen.
Es gab zwei, drei Sachen. Angefangen von der „besonderen Pressekonferenz“, das weiß er aber mittlerweile auch, dass das kein guter Dienst am FC Bayern war.
Wenn Sie der „Ludwig Erhard des Fußballs“ sind, was ist Uli Hoeneß?
Das Wort „Macher“ im positiven Sinne – das trifft zu. Weil es viele Ausprägungen hat.
Kann man ihn beerben?
Ja, aber man muss seinen eigenen Weg gehen. Das Gesamte sehen, die erfolgreiche Geschichte muss Herbert Hainer zusammen mit dem Vorstand der AG fortführen können. Das traue ich ihm zu. Das Ziel ist klar, den Weg dorthin muss er aber selbst finden. Seine eigenen Vorstellungen und Möglichkeiten muss er einbringen können. Es wäre falsch, wenn alles genauso weitergehen würde, wenn Herbert Uli anruft und der sagt: mach das so.
Ist es schwer, nach so einem intensiven Job runterzukommen?
Langweilig wird ihm nicht werden. Er wird sich bei manchen Entscheidungen sicher denken: Oh, das hätte ich anders gemacht. Oder: Oh, das finde ich gut. Er wird mitdenken, aber sich nicht aufdrängen. Er hat eine tolle Familie, ein schönes Haus, eine tolle Firma übergeben. Wenn er nicht zufrieden ist, wer dann?
Was kann Ihre Frau berichten: Wie ist es, wenn der Mann mal zu Hause ist?
Da müssen sie meine Frau fragen. Aber ich schließe aus, dass Uli Hausarbeit übernehmen wird – außer am Grill.
Sind da eigentlich alle Frauen gleich – und denken sich jetzt: „Die arme Frau Hainer…“??
Die Angelica (Hainer/ d.Red.) kennt das von früher. Sie weiß, dass der Herbert beschäftigt sein muss. Also wie alle Frauen: Sie will nur das Beste für ihren Mann (lacht).
Interview: Hanna Raif