Süchtig nach Toren

von Redaktion

„Das wird ein Rekordjahr“: Lewandowski schreibt in 14:32 Minuten Geschichte

VON HANNA RAIF

Belgrad/München – Eigentlich hätte Robert Lewandowski sich an diesem Abend ja mal was gönnen können. Wer mit seiner Mannschaft 6:0 gewinnt, dabei vier Tore beisteuert und dafür gerade mal 14:32 Minuten benötigt, darf sich gehen lassen. Im Falle des Polen hätte das geheißen: Erst eine kleine Nachspeise, dann die wunderbar duftenden Rinderfilethäppchen und Mini-Cevapcici zum Hauptgericht, und anschließend noch ein kleines Süppchen. Von hinten nach vorne, erst Dessert, am Ende die Vorspeise, so nimmt der Torjäger des FC Bayern ja gerne sein Essen ein. Da das aber nicht die einzige Eigenheit dieses Vollblut-Profis ist, beließ er es nach seiner persönlichen Sternstunde beim nächtlichen Bankett in Belgrad bei einem kleinen Gläschen Rotwein – bevor er hurtig auf sein Zimmer eilte.

Eine knappe Viertelstunde dauerte der Auftritt von Lewandowski im Festsaal des Mannschaftshotels, also in etwa genau so lang wie seine Show zuvor auf dem Rasen. Er wurde gefeiert, gab Autogramme, lächelte in unzählige Kameras, dann aber machte er sich auf den Weg. Nachtruhe ist ja auch wichtig für einen Mann wie ihn, der seinen Beruf so ernst nimmt wie kaum ein Zweiter. Außerdem hatte er alles, was er brauchte, in einer weißen Plastiktüte dabei: Den Ball, bei dessen Anblick der 31-Jährige ab sofort an diesen Abend denkt, an dem ihm – mal wieder – Historisches gelang. Vier Treffer für zwei Vereine in der Königsklasse – das hatte noch keiner geschafft.

Natürlich wurden in dieser magischen Viertelstunde zwischen der 53. und 68. Minute des fünften Gruppenspiels Erinnerungen wach an 2013. Damals, im Trikot von Borussia Dortmund, hatte Lewandowski Real Madrid im Halbfinal-Hinspiel (4:1) quasi im Alleingang erledigt, man sprach von diesem „Ein-Mal-Und-Nie-Wieder“-Moment, den Karrieren von Stürmern halt manchmal so haben. Für Lewandowski aber war diese magische Nacht nur der vorläufige Höhepunkt. Unvergessen sind die fünf Tore gegen Wolfsburg, die ihm vor vier Jahren in weniger als neun Minuten gelangen. 2015 stand Pep Guardiola an der Seitenlinie und schlug einfach nur die Hände vors Gesicht. Unglaublich! So wie nun der Auftritt in Belgrad.

„Robert ist in Hochform“, sagte Hansi Flick in der Nacht zum Mittwoch, „er ist sehr professionell und arbeitet sehr viel.“ Natürlich sind es immer wieder dieselben Sätze, die über den polnischen Nationalspieler verloren werden, seit Wochen, ach was!, seit Monaten. Aktuell stehen 27 Tore aus 20 Pflichtspielen zubuche, bis Weihnachten dürfte die 30er-Marke locker geknackt werden. „Das sieht nach einem Rekordjahr aus“, sagte Kapitän Manuel Neuer. Leon Goretzka, dessen Treffer zum 1:0 angesichts der Lewandowski-Dominanz fast unterging, fügte hinzu: „Ich weiß nicht, wie viele Rekorde er noch knacken will – das kann gerne so weitergehen.“

Es gab in den vergangenen fünf Jahren, in denen Lewandowski das Bayern-Trikot trägt, durchaus andere Zeiten. Solche, in denen sich er Stürmer selber über seine Treffer freute, die Kollegen mit ihrem Lob aber spärlicher umgingen (Stichwort: Einzelgänger). Erst spät, als der latente Wechselwunsch kleiner wurde, wuchsen der Verein und Lewandowski richtig zusammen. In dieser Saison war er lange die Lebensversicherung der kriselnden Bayern, ehe er nun aus einer starken Mannschaft immer noch heraussticht. Über den Auftritt in Belgrad sagte Ersatz-Spieler Thomas Müller: „Wir haben von A bis Z ein Topspiel gemacht.“ Beim Buchstaben „L“ gab es trotzdem mal wieder die beste Geschichte zu erzählen.

„Ich muss gestehen: Ich bin süchtig nach Toren“, sagte Lewandowski selbst. Trotzdem, das betont er ja Mantra-artig Woche für Woche, sei es das Wichtigste, „dass wir Spaß haben“. Er habe „super Spieler“ neben sich, die „super Fußball“ spielen: „Früher hat ein bisschen gefehlt, jetzt läuft es einfach.“ Müller erinnerte daran, dass „Lewy viele Chancen kriegt, wenn wir so spielen.“ Natürlich profitiert auch das vorderste Glied davon, dass die Bayern unter Flick wieder eine Einheit sind, defensiv gut stehen und Zug zum Tor haben. Dort steht er meist goldrichtig.

Für Lewandowski waren es die Champions League-Tore Nummer 60 bis 63, und dass es nicht in Serbiens Hauptstadt noch mehr wurden, lag womöglich auch daran, dass Flick seinen Stürmer in der 77. Minute vom Platz holte. Man weiß ja, was in 13 Minuten plus Nachspielzeit für diesen Mann möglich sein kann. Aber Lewandowski genoss den Applaus. Den von den Bayern-Fans wie jenen der Belgrader Fans.

Ein stehendes Stadion – so etwas bedeutet einem wie ihm mehr als ein üppiges Sieger-Mahl.

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