Weltklasse, Mama!

von Redaktion

Natalie Geisenberger plant nur eine kurze Babypause – Schwanitz und Co. beweisen: Das geht

VON HANNA RAIF

München – Zwei dritte Plätze, das wäre für die deutschen Rodlerinnen normalerweise ein schlechter Start in die Saison gewesen. Aber normal ist heuer ja sowieso nichts im Team von Norbert Loch. Als die junge Garde um Julia Taubitz und Jessica Tiebel am vergangenen Wochenende beim Weltcup-Auftakt in Innsbruck zeitgleich auf das dritte Stockerl fuhren, standen die Routiniers Natalie Geisenberger und Dajana Eitberger jubelnd im Zielraum. Beide, die Olympiasiegerin sowie die Silbermedaillengewinnerin von Pyeongchang, sind schwanger, beide erwarten im Frühjahr ihr erstes Kind. Und beide wollen zur kommenden Saison wieder dabei sein.

Der Zeitplan ist straff, aber durchaus realistisch, wie Nina Ferrari bestätigt. Die Sportwissenschaftlerin von der Deutschen Sporthochschule Köln beschäftigt sich mit dem Zusammenspiel zwischen Leistungssport und Schwangerschaft, und sagt: „Als Rodlerin hat man gute Voraussetzungen, auch nach der Geburt wieder schnell mit dem Training zu beginnen.“ Dass zwei Vorzeigesportlerinnen aus derselben Disziplin zeitgleich in Babypause sind, ist besonders interessant. Denn Ferrari weiß aus der Durchführung mehrerer Studien und auch aus der Praxis, dass jede Schwangerschaft individuell betrachtet werden muss. „Pauschal“, sagt sie bestimmt, „kann man die Thematik nicht sehen“, denn es komme auf viele Faktoren an. Auf die Entbindung – spontan oder Kaiserschnitt – genau wie auf die Stärke des Beckenbodens, der im Leistungssport deutlich mehr Widerstand leisten muss als im ohnehin stressigen Alltag als junge Mutter.

Die zeitliche Spanne bis zur vollen Belastbarkeit kann zwischen sechs Wochen und acht Monaten liegen. Trotzdem weist die Wissenschaftlerin darauf hin, dass es „in nahezu jeder Sportart eine Sportlerin gibt, die den Weg aus der Pause zurück in den Wettkampf geschafft hat“. Einige von ihnen sind sogar wieder Weltklasse. Serena Williams ist ein prominentes Beispiel. Regelmäßig steht die 37-Jährige auch nach der Geburt von Alexis Olympia 2017 in Grand Slam-Finals, auf einen großen Triumph als Mama aber wartet sie nach wie vor. Sie geht zudem offen damit um, dass der Spagat zwischen Mutter-Gefühlen und Sportler-Ehrgeiz nicht immer leicht ist. Als sie die ersten Schritte ihrer Tochter verpasste, weinte sie. Und auch körperlich war der Weg zurück auf den Court nicht immer ein Zuckerschlecken.

„Die physischen Voraussetzungen sind wichtig, aber es geht vor allem auch um Disziplin und ein funktionierendes Team“, sagt Ferrari. Der Trainingsalltag muss durchgetaktet sein, Verwandte oder Babysitter verfügbar. Geisenberger etwa plant, dass Mann und Kind die Weltcup-Stationen im kommenden Winter mit ihr bereisen, sie also außerhalb des Eiskanals Mama sein kann. Bei der Leichtathletik-WM in Doha war Zyon, der zwei Jahre alte Sohn von Shelly-Ann Fraser-Pryce, im Arm seiner Mutter, als die Jamaikanerin in 10,71 Sekunden zur schnellsten Frau der Welt wurde. Genauso beeindruckend: Die Leistungen von Christina Schwanitz, die zwei Jahre nach ihrer Zwillings-Geburt Bronze im Kugelstoßen holte, und Allyson Felix, ein halbes Jahr nach Entbindung zum zwölften Mal Weltmeisterin – mit der Mixed-Staffel.

Sie alle können so stark zurückkommen, weil sie auch schwanger trainierten. „In einer unkomplizierten Schwangerschaft kann man sein Niveau lange halten und auch schnell nach der Entbindung auf sein ursprüngliches Niveau zurückkommen“, sagt Ferrari. Ohne Bedenken könne man in der Schwangerschaft rund 80 Prozent seiner Leistungsfähigkeit abrufen, „alles, was die Frau tolerieren kann, geht“. Ausdauer- und Krafttraining sind möglich, dosiert sogar im letzten Drittel der 40 Wochen. Ist das Kind dann geboren, geht es vor allem um Stabilität im Rumpf und der Körpermitte, darauf baut alles auf. Für die Rodlerinnen, die in der kräftezehrenden Vorbereitung viel im Kraftraum arbeiten, gibt es Alternativen: Ferrari rät zu geführtem Krafttraining an den Geräten anstelle von Freihanteln. So ist die Belastung auf Beckenboden und die in Anspruch genommene Bauchmuskulatur gering und kann sukzessive gesteigert werden.

Individuelle Trainingspläne sind wichtig, nicht zu schnell zu viel wollen, sich Zeit geben. Dann ist alles möglich. Für die normale Mama übrigens genau wie für die Leistungssportlerin. Ferrari, selbst Mutter einer Tochter, ist froh, dass Sport und Schwangerschaft sich seit einigen Jahren nicht mehr ausschließen, Studien bestätigen das. „Früher hieß es: neun Monate Ruhe. Heute weiß man: Bewegung ist sogar förderlich“, sagt sie.

Auch Schwanitz übrigens hatte in der Stunde ihres Erfolges eine Botschaft loszuwerden. „Es sollen sich viele andere Mütter ein Beispiel nehmen, die sagen, weil ich ein Kind habe, kann ich nicht arbeiten, eine Führungsposition übernehmen. Das ist Blödsinn.“ Mamas können Weltklasse sein. Daheim wie im Beruf. Und sicher auch im Eiskanal.

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