München – Der Vorabend des zweiten Advent, am nächsten Tag die teaminterne Weihnachtsfeier. Es war passend und fast schon kitschig, dass ein 1860-Profi sein Startelf-Debüt feierte, der schon vom Namen her nach Weihnachten klingt: Noel Niemann. Quasi aus dem Nichts kommend war Niemann auserkoren, den verletzten Stefan Lex als Zehner zu ersetzen. „Es hat sich die Woche über angebahnt, dass ich spiele“, berichtete der Nachwuchslöwe: „Gewusst habe ich es aber erst, als es der Trainer vor dem Spiel gesagt hat.“
20 Jahre alt, aus Ismaning stammend und seit 2017 beim TSV 1860. Seine Eltern haben ihn Noel genannt, als das französische Wort für Weihnachten noch nicht in den Top 100 der beliebtesten Vornamen auftauchte. So viel zum Christkind, das den Löwen bereits am 7. Dezember erschienen ist. Michael Köllner versprach sich vom dribbelstarken Fliegengewicht spielerischen Lamettaglanz. Dass es am Ende nur eine halbrunde Weihnachtsgeschichte wurde, lag am wenigsten am Novizen selbst, wie der Coach befand. „Ich bin zufrieden“, sagte Köllner: „Er hat das in ihn gesetzte Vertrauen zurückgegeben.“
Es lief die elfte Spielminute, als aus dem Niemand Niemann ein Spieler wurde, der später auch im Statistikblock auftauchte – als Wegbereiter der Löwen-Führung. Obwohl eigentlich auf dem linken Flügel zu Hause, fand sich Niemann auf Anhieb gut hinter den Spitzen zurecht, zog kurz vor der Strafraumgrenze das Foul, das sich anbot – und bescherte Daniel Wein einen Freistoß, der über das Hinterteil von Tim Rieder den Weg ins Großaspacher Tor fand. „Der Trainer hat gesagt, dass ich überhaupt nicht nervös sein muss“, erklärte Niemann später seinen selbstbewussten Start. „Er hat auch gesagt: Wenn er kein Vertrauen in mich hätte, dann würde er mich nicht aufstellen. Das hat mich natürlich sehr beruhigt.“
Dazu muss man wissen: Niemann ist fast ein Jahr wegen eines Kreuzbandrisses ausgefallen. In Saarbrücken, beim Hinspiel der Aufstiegs-Relegation, fieberte er am Seitenrand mit – auf Krücken gestützt. Vor zwei Jahren sei er schon einmal „nah dran an Einsätzen“ gewesen, erinnerte er. „Tragischerweise hab ich mich dann schlimmer verletzt. Danach wieder ranzukommen, war nicht so einfach, auch mental.“ Bis vor wenigen Wochen hatte Niemann sein Stammplatz meist in der Bayernliga-Reserve.
Dass der flinke Rechtsfuß auch den Profis helfen kann, zeigte er nicht nur vor dem 1:0 gegen Großaspach, sondern auch in vielen Szenen danach. Er zog Dribblings an und Sprints, war beweglich und quirlig – so wie Köllner sich das erhofft hatte. Jedoch: Spätestens nach der Verletzung von Rieder, als dem Mittelfeld der Löwen die ordnende Hand fehlte, wurde es für den Aushilfszehner zunehmend schwierig, Mitspieler zu finden, die seine Spielfreude erwiderten. Nach der Pause sei Niemann „richtig gut gewesen“, fand Köllner: „Da hat er sich immer besser freigeschwommen. Leider sind viele gute Aktionen von ihm nicht vollendet worden.“
Das Ende ist bekannt: Punktverlust in Überzahl gegen den „Dorfklub“ aus dem Stuttgarter Hinterland. Das 1:1 nach den erfolgreichen Derbys habe natürlich keinem geschmeckt, bekannte Niemann. „Wir wollen uns auf keinen Fall mit Unentschieden zufrieden geben“, sagte er und blickte schon voraus auf kommenden Montag. In Ingolstadt, beim Tabellenzweiten, so Niemann, „wollen wir auf jeden Fall wieder drei Punkte holen“.
Die Chance, dass Köllner erneut auf den jungen Ersatzspielmacher setzt, stehen gut. Lex fällt weiterhin aus, Efkan Bekiroglu war lange verletzt, der eingewechselte Timo Gebhart sucht seine alte Form. Es ist die Stammplatz-Chance für Niemann. Für den jungen Mann, der so lange verletzt war, wäre es das schönste Weihnachtsgeschenk. ULI KELLNER