Das Phantom von Salzburg

von Redaktion

Mohamed Khalifa, dem viele Stars vertrauen, vollbringt „Wunder“ – doch seine Arbeit wirft Fragen auf

VON DANIEL MÜKSCH

München/Salzburg – Das Phantom wohnt in der Steinmetzstraße. Triste Mehrfamilienhäuser folgen auf typische österreichische Landhäuser mit Schlagläden vor den Fenstern und Geranien in den Blumenkästen. Wer im Salzburger Stadtteil Nonntal durch die Gassen wandert, ahnt nicht, dass sich hinter Hausnummer 8 einer der umstrittensten Männer der Sportmedizin niedergelassen hat – Mohamed Khalifa.

Fällt dieser Name, folgen in der Regel nur zwei Reaktionen: „Oh, mein Gott! Lass bloß die Finger von ihm.“ Oder: „Kann dir niemand mehr helfen, geh zu ihm. Er kann Wunder vollbringen.“

Fest steht: Khalifa redet nicht um den heißen Brei herum. Auf seiner Homepage verspricht er ganz offen Blitzheilungen. Verletzungen, für die ein klassischer Schulmediziner mindestens ein halbes Jahr Wettkampfpause einplant, heilt er angeblich in einer einzigen 60-minütigen Sitzung. Inzwischen hat sich der Vater zweier Kinder ausschließlich auf schwere Knieverletzungen spezialisiert.

Wie funktioniert die „Methode Khalifa“? „Er führt Operationen mit seinen Händen durch“, sagt ein ehemaliger Klient und Leistungssportler, der seinen Namen aber lieber nicht in der Zeitung lesen möchte. Gefürchtet sind Khalifas kräftige Hände. Sie sind seine Werkzeuge. Und diese trainiert er mit der Disziplin eines Hochleistungssportlers. Jede Nacht steht er um drei Uhr auf, absolviert 400 Liegestütze – nur auf den Fingern. Mit dieser Kraft und seiner eigens hergestellten Salbe massiert der Manualtherapeut in die betroffenen Stellen des Knies und aktiviert – so sagt er –Selbstheilungskräfte. Der 64-Jährige arbeitet jedoch nur mit noch nie operierten Knien. Jeder externe Eingriff verändere die natürlichen Verhältnisse, glaubt er. Pro Tag behandelt er maximal drei bis vier Personen. Für eine Sitzung verlangt er angeblich bis zu 1000 Euro.

Für ihn spricht seine Kundenkartei. Sie liest sich wie ein Almanach der Sportgeschichte: Boris Becker, Steffi Graf, Franziska van Almsick, Roger Federer, Sergej Bubka. Sie alle haben seine Dienste in Anspruch genommen. Würden sich solche Größen in die Hände eines Scharlatans begeben?

Seine Patienten, egal, ob prominent oder nicht, müssen eine hohe Schmerztoleranz mitbringen. Viele beschreiben die Sitzungen als qualvoll. Zuletzt machte Champions-League-Sieger Divock Origi vom FC Liverpool Schlagzeilen als Khalifa-Klient – genauso wie sein Fußball-Kollege und deutscher Nationalspieler Emre Can von Juventus Turin. Nur reden will kaum ein Star über seine Zusammenarbeit mit dem „Wunderheiler“. Oft drohen Vereins- und Verbandsärzte gar mit juristischen Konsequenzen, wenn sich einer ihrer Sportler mit Khalifa einlässt. Die Krankenversicherungen der Clubs befürchten zudem hohe Behandlungskosten durch Spätfolgen.

Einer der wenigen, der über seine Erfahrungen mit dem gebürtigen Kairoer spricht, ist Markus Miller, ehemaliger Bundesligatorwart beim Karlsruher SC. Im Oktober 2007 reißt ihm das hintere Kreuzband im rechten Knie. Die Ärzte sagen ihm mindestens ein halbes Jahr Pause voraus. Miller entscheidet sich gegen eine Operation – und für Khalifa. Das Ergebnis ist auf den ersten Blick sensationell: „Ich bin mit einer Schiene in die Praxis gehumpelt und hinausgejoggt“, erinnert sich der heutige Torwarttrainer der U-15-Nationalmannschaft. Schon nach weniger als drei Monaten stand Miller wieder zwischen den Pfosten in der Bundesliga.

Ein Wunder? Marcus Schweizer kann sich das nicht vorstellen. Der noch heute aktive Mannschaftsarzt des Karlsruher SC erklärt: „Das hintere Kreuzband war auch nach der Behandlung von Herrn Khalifa gerissen. Intakt war nur noch das vordere Kreuzband, entsprechend instabil war das Knie. Ich habe es oft genug in meinen Händen gehabt“, sagt der Mediziner. Für Khalifas vermeintliche Blitzheilung hat Schweizer eine nüchterne Erklärung: „Ich bin mir sicher, dass Mohamed Khalifa ein guter Osteopath ist. Er kann bestimmte Punkte mit seinen Händen erfühlen und Schmerzimpulse für wenige Stunden unterdrücken. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.“ Khalifa wende Handgriffe an, die schon lange bekannt seien. Nur verkaufe er sie anders.

Viele Sportärzte sind sich einig: Mit seiner extremen Massagetechnik fördert Khalifa die Durchblutung und erzielt dabei durchaus Erfolge. Diese sind allerdings meist von kurzer Dauer. Bei Topathleten profitiert er zudem von der starken Muskulatur seiner Kundschaft – besonders in den Oberschenkeln. So eine Muskulatur kann viel abfedern und den Verletzten für eine gewisse Zeit Schmerzfreiheit garantieren. Langfristig trägt der Sportler dadurch aber ein hohes Risiko. Das sieht auch Professor Christian Fink so. Er ist einer der renommiertesten Knie-Chirurgen der Welt. Auf seinem OP-Tisch lagen zum Beispiel die Fußball-Nationalspieler Leroy Sané und Niklas Süle vom FC Bayern nach ihren schweren Kreuzbandrissen. „Bei Behandlungen ohne Operation ist ein Knorpelschaden praktisch vorprogrammiert. Mit ein wenig Glück erst nach der Karriere. Aber dann wahrscheinlich ein heftiger durch die hohen Belastungen als Profisportler“, warnt der Österreicher. Jeder Profi müsse abwägen, wie viel ihm seine Gesundheit wert sei. Worin Khalifa allerdings kaum jemandem etwas vormacht, ist Selbstmarketing. Er macht sich so rar, dass um ihn herum eine Art mystische Aura entstanden ist. Es existieren nur ganz wenige Bilder von ihm. In der Öffentlichkeit zeigt er sich praktisch nie. Vor einigen Monaten wagte er sich ein wenig aus der Deckung und initiierte Forschungen über die Wirksamkeit seiner Methode. Nachdem Kritik an der Zusammenstellung der Probanden aufkam, zog er sich wieder völlig zurück.

Nun arbeitet der Ägypter wieder leise an seiner Legende in der Steinmetzstraße. Nur die Luxuskarossen seiner Besucher, die in der Einfahrt parken, lassen erahnen, dass hinter Hausnummer 8 etwas nicht Alltägliches vor sich geht. Manch einer mag sogar von Wundern sprechen.

Artikel 1 von 11