München – Rui Pinto, der Mann, der im Fußball als „John“ bekannt wurde, ist nicht mehr frei. Am 16. Januar dieses Jahres wurde er in Budapest verhaftet, am 21. März an Portugal, sein Heimatland, ausgeliefert. Dort sitzt er nun im Gefängnis. War es das also mit den „FootballLeaks“, der größten Enthüllung in der Geschichte des professionellen Fußballs?
Gewiss nicht. Schon dem „Spiegel“ und dessen Investigativ-Reporter Rafael Buschmann hatte Pinto einen umfassenden Datenschatz zur Verfügung gestellt über die drei Jahre der Zusammenarbeit: 70 Millionen Dokumente, 3,4 Terabyte. Doch das ist bei Weitem nicht alles. Rui Pinto hatte in den letzten Monaten seines freien und noch weitgehend unentdeckten Lebens, das er in Budapest zubrachte, mit französischen Behörden kooperiert, und die sicherten einiges an Material – nicht dass noch die Portugiesen rankommen und alles vernichten. 26 Terabyte mit Verträgen, Abmachungen, Chatprotokollen, SMSen. Das Achtfache dessen, was die Fußballwelt von 2016 bis 2019 ins Wanken gebracht hatte.
Aus den Angeln gehoben haben die FootballLeaks den Fußball nicht. 800 Artikel erschienen, es wurden tatsächlich „Dutzende Millionen Steuergelder zurückgezahlt“, so die Autoren Rafael Buschmann und Michael Wulzinger. Die beiden Redakteure des „Spiegel“ haben heuer noch ein zweites Buch („FootballLeaks 2 – Neue Enthüllungen aus der Welt des Profifußballs“, DVA, 20 e) auf den Markt gebracht. Oft werden sie von Journalistenkollegen gefragt: Hat sich durch diese Offenlegungen was geändert?
Es kommt wohl auf die Perspektive an: Wer immer schon einen kritischen Blick auf das Kommerztreiben des Fußballs hatte, wird sich bestätigt sehen. Wahrscheinlich sogar richtig empört sein. Und dankbar, dass man das alles erfahren hat. Doch es gibt auch eine Tendenz zum Nichtsweiterwissenwollen. Man nimmt die Obszönitäten der Branche einfach hin. Pinto, der dem „Spiegel“ dieser Tage im Gefängnis ein Interview gab, meint: „Solange die Lieblingsmannschaft gewinnt, ist den Leuten alles andere egal – selbst wenn sie von Fehlverhalten und Verbrechen wissen. Dagegen komme ich nicht an. Fußball ist unantastbar. Und die Behörden schützen die Branche, weil sie von so großem öffentlichen Interesse ist.“
In Deutschland waren der größte Aufreger der „Spiegel“-Enthüllungen die vom FC Bayern betriebenen Planspiele, in eine Super League mit den anderen Großen Europas zu wechseln und sich von der Bundesliga abzuwenden. Daraus wurde – vorläufig – nichts.
Der erste Band der FootballLeaks hatte mit viel Information über Vertragsdetails aufgewartet und von dubiosen Firmengeflechten erzählt, mit denen die Stars versuchen, Höchststeuersätze zu umgehen. Kein Steuerparadies, kein Briefkastenland, das dem Fußball fremd wäre. Band zwei ist deutlich dicker geraten, es geht um Financial Fairplay, Doping, den Handel mit den jüngsten Talenten (in England unterhalten die Großvereine sogar eine geheime Liga mit Kindern, weil die FIFA keinen Wind bekommen soll von den Transfers Minderjähriger), auch die Vergewaltigungsvorwürfe gegen Cristiano Ronaldo werden noch einmal aufgeführt. Doch vor allem kreist „FootballLeaks2“ um Rui Pinto alias John, den portugiesischen Whistleblower, der zum Zeitpunkt seiner Festnahme 30 Jahre alt ist und – man darf das nicht verschweigen – eine Vorgeschichte hat. Er testete bei der Sportvermarktungsfirma Doyen aus, was sie für die Nichtveröffentlichung von Informationen zu zahlen bereit wäre (war es versuchte Erpressung?), und es war auch was mit einer Bank auf den Cayman Islands. Hatte Pinto sich reingehackt?
So mystisch wie im ersten Buch erscheint John dann nicht mehr. Es kommt heraus, dass er in Budapest offiziell gemeldet war, dass er ein Facebook-Profil auf seinen Klarnamen hatte. Er wurde von einem Geheimdienst kontaktiert, Journalisten waren hinter ihm her, in Portugal war er kein Unbekannter. Es wird spürbar, wie die Angst vor der Enttarnung ihm zusetzte. Rui Pinto plante, in ein Zeugenschutzprogramm zu gehen. Er sehnte sich nach Sesshaftigkeit und Ruhe, er legte sich sogar ein Kätzchen zu. Er nannte es Cristiano Ronaldo.
„FootballLeaks2“ hat schlechtere Rezensionen bekommen als Teil eins. Weil es ausufert, bisweilen zu romanhaft gerät, wenn eine Anwaltssekretärin „nach Sommer riecht“ und ein knutschendes Pärchen geschildert wird, das zufällig vor einem Restaurant steht, in dem Buschmann und Pinto gerade reden.
Es hätten weniger als 570 Seiten werden können, doch unbestritten ist: Das Buch gibt interessante Einblicke nicht nur in den Fußball, sondern auch in journalistische Arbeit – und es liest sich gut weg. Und die Geschichte ist noch nicht zu Ende. GÜNTER KLEIN
„Die Behörden schützen die Fußballbranche.“