Herrsching – Manchmal, wenn Max Hauser sich richtig freut, wackelt er mit dem Popo. Er weiß gar nicht mehr genau, wann er damit angefangen hat, es muss vor ein paar Jahren gewesen sein, als er selbst noch sehr viel Volleyball gespielt hat, fast nur auf Sand. Mit seinem Doppelpartner dachte er sich damals einen Jubeltanz aus, den sie immer aufführten, wenn sie mit dem Aufschlag sofort einen Punkt machten. Sie formten mit ihren Armen über dem Kopf ein A wie in Ass und wackelten dazu eben mit dem Popo. „Wir haben viel Blödsinn gemacht“, sagt er. Eines macht Max Hauser mit Sicherheit nicht, wenn es um Volleyball geht: Blödsinn.
Am Samstag vor Weihnachten sitzt Hauser, ein Mann mit breiten Schultern und Dreitagebart, in einer muffigen Umkleidekabine in der Herrschinger Nikolaushalle und starrt auf ein Stück Papier. Dort steht, ganz oben, dass der TSV Herrsching am 11. Spieltag der Volleyball-Bundesliga die Netzhoppers Königs Wusterhausen mit 3:2 besiegt hat, aber Hauser, der Trainer Herrschings, sagt: „Das Spiel gerade konnten wir eigentlich nicht gewinnen – außer es gibt sowas.“ Er fährt mit seinem Zeigefinger über das Papier mit den Statistiken, beim Aufschlag hält er an. In der Spalte von Herrsching steht: 20 Asse. Er hebt den Kopf. Dann lächelt er.
Er lächelt, weil er weiß, wie viel Arbeit hinter jedem guten Aufschlag steckt. Er hält ihn für das „entscheidende Element“ seines Sports, weshalb er vor jedem Spiel stundenlang überlegt, was besser passt: der Sprungaufschlag, der hart ist und schnell, oder doch der Floataufschlag, der langsamer fliegt, aber extrem flattert. Jeder Volleyballer, der zu ihm kommt, lernt außerdem den „Ace-Dance“, so nennt er seinen Jubeltanz. Man kann denken, dass das albern ist, totaler Blödsinn, aber dann denkt man nicht wie Max Hauser. Er glaubt daran, weil es seine Spieler zum Lachen bringt und so chemische und physiologische Prozesse in ihren Körpern ausgelöst werden, die in Drucksituationen helfen. Er glaubt daran, weil es wirklich jeden Gegner nervt, manche sogar richtig provoziert. Und seine Spieler glauben daran, weil Hauser daran glaubt, ihr Trainer, der so ehrgeizig ist, dass er ihnen sogar vorgibt, wann sie am besten mit dem Popo wackeln sollen.
In seinem Leben ist Max Hauser oft für seinen Ehrgeiz ausgelacht worden, sogar in Herrsching, seinem Heimatort. Mit 23 Jahren hat er den TSV in der Landesliga als Trainer übernommen. Jetzt, mit 35 Jahren, spielt er mit jenem TSV seit fünfeinhalb Saisons in der Bundesliga. Neulich hat seine Mannschaft in der muffigen Nikolaushalle den VfB Friedrichshafen 3:2 besiegt, den Rekordmeister, seitdem gibt es kein Team mehr in der Liga, das Hauser nicht geschlagen hat. Er sagt: „Ich habe zwei Ziele in meinem Leben: Ich will zu Olympia und ich will Deutscher Meister werden. Und ich sehe nicht ein, warum ich von diesen Zielen abweichen sollte.“ In Herrsching haben sie aufgehört, darüber zu lachen.
An vielen anderen Orten fragen sie sich aber bis heute, wie es eigentlich sein kann, dass es in Herrsching am Ammersee einen Volleyballverein gibt, der weniger für Spieler ausgibt als jeder andere Club in der Bundesliga, aber trotzdem von jedem gefürchtet wird? Es gibt auf diese Frage wenig gute Antworten, dafür aber Max Hauser, der sagt: „Es wird immer wieder unterschätzt, wie ehrgeizig ich bin.“
An einem Montag im Dezember, ein paar Tage vor dem Spiel gegen Königs Wusterhausen, steht Hauser in der Sporthalle in Gilching, wenige Kilometer von Herrsching entfernt. Vor ihm spielen Zehntklässler Volleyball, einer, sagt Hauser und zeigt auf den größten von ihnen, darf schon in seiner Profimannschaft mittrainieren. Sie kommen vom Christoph-Probst-Gymnasium nebenan, an dem Hauser sein Abitur gemacht hat und seit zehn Jahren nun selbst als externer Sportlehrer unterrichtet. Eigentlich fehlt ihm dafür inzwischen die Zeit, aber letztens hat er trotzdem einen Antrag beim Kultusministerium eingereicht, um das Gymnasium zur Stützpunktschule des Volleyballs zu machen. Die anderen Sportlehrer unterstützen ihn – spätestens seit er vor zwei Jahren mit ihnen die Bayerische Lehrermeisterschaft gewonnen hat.
In seiner Mittagspause sitzt Hauser in einem asiatischen Imbiss und löffelt in einer Nudelsuppe. Manchmal, sagt er, leide er schon darunter, so ehrgeizig zu sein, es lässt ihn einfach nie los. Er muss oft nur auf sein T-Shirt schauen, dann steht da in kleinen Buchstaben GCDW, „Geilster Club der Welt“, so heißt die Marke, die er mit Mitstreitern gegründet hat, als Herrsching 2014 in die Bundesliga aufgestiegen ist. Durch die GmbH sind die Heimspiele aufregender geworden, die Reichweite größer, sein Leben aber stressiger. Er ist er nicht mehr nur Trainer und Sportdirektor, sondern auch Gesellschafter, er plant nicht nur, ob seine Spieler einen Sprung- oder Floataufschlag machen, sondern auch, in welchem Hotel sie schlafen. Er hat eine sechsstellige Summe investiert, bis mit der WWK endlich ein großer Sponsor eingestiegen ist – und es passt zu dieser Geschichte, dass der Deal damit angefangen hat, dass Hauser dem Vorstandsvorsitzenden mal Beachvolleyball-Unterricht gegeben hat. Er betreut nebenher kleine Sponsoren in Herrsching, unterrichtet an der Schule in Gilching. Und, ach ja, vor zweieinhalb Jahren ist Hauser zum ersten Mal Vater geworden.
Ein Kind verändert viele Menschen, ihn aber nicht. Wenn er sich etwas in den Kopf setzt, will er es so sehr erreichen, dass es meistens darüber hinausgeht. Das ist heute noch immer so wie damals, 2003, als durch einen Zufall bei den Bayerischen Meisterschaften im Beachvolleyball mitspielen durfte. Auf dem Stadtplatz in Nürnberg hechtete er den Bällen im Sand hinterher, vergeblich, sein Team wurde Letzter. Das Event gefiel ihm aber so gut, dass er es unbedingt gewinnen wollte. Die nächsten vier Jahre machte er an der TU München sein Diplom in Sportwissenschaften, arbeitete als Sportreporter beim DSF, fing als Trainer beim TSV Herrsching an, hörte nebenher jedoch nie auf, im Sand zu trainieren. Heute spielt Max Hauser eher selten Beachvolleyball, aber die Bayerischen Meisterschaften hat er inzwischen viermal gewonnen.
Er wusste, dass es für ihn als Spieler nie für die internationale Spitze reichen wird. Es scheiterte am Körper, nicht am Kopf. Ihm selbst fehlte das letzte Talent, wer es aber hat, erkennt Hauser heute sofort. Er sitzt oft abends mit seinem Laptop auf dem Sofa, durchforscht Statistiken, vielleicht sieht er irgendwo, einen Vorteil, den noch keiner kennt. Oft schaut er sich auch Spiele aus allen möglichen Ligen der Welt an, dort, wo die anderen Vereine nicht so genau hingucken. So findet er begabte Spieler, die sich sogar Herrsching leisten kann. Den Außenangreifer Jalen Penrose zum Beispiel hat er in Tschechien entdeckt. Er spielte dort selten, weil sein Trainer mit dem hibbeligen US-Amerikaner nichts anfangen konnte. Als die Chance da war, holte Hauser ihn an den Ammersee. In dieser Saison punkten in der Bundesliga nur zwei Spieler besser als Penrose.
So läuft das immer wieder mit den Talenten, die Hauser findet. Wer unter ihm spielt, entwickelt sich. Und wer sich in der Bundesliga entwickelt, bekommt schnell Angebote, die ein Volleyballprofi nicht ablehnen kann. Daniel Malescha und Martin Krüger etwa wechselten nach Friedrichshafen, Christoph Marks und Tom Strohbach nach Italien. Es gibt gerade keinen Grund zu zweifeln, dass das auch in Zukunft so weitergeht, was jedoch, wenn sich die Talente irgendwann nicht mehr entwickeln, wenn der Verein die Playoffs auf einmal verpasst? Wer kontrolliert den Mann, der in Herrsching doch selbst alles kontrolliert? Er sagt es so: „Mich überprüft nur mein eigener Ehrgeiz – und der ist extrem hoch.“
Ein Problem aber, das drängendste von allen, hat selbst Max Hauser mit seinem großen Ehrgeiz nicht lösen können. Die Herrschinger Nikolaushalle ist für Spitzenvolleyball nicht hoch genug. Seit einigen Jahren schon suchen er und seine Mitstreiter bereits eine neue Halle, gefunden haben sie sie immer noch nicht, weshalb Hauser nun eine letzte Frist gesetzt hat: Wenn im Frühjahr 2021 keine Lösung in Sicht, zieht er sich mit dem TSV in die 2. Liga zurück. Er will das eigentlich nicht, er hat so viel investiert und ja noch so viel vor, Meister werden zum Beispiel. Er könnte seinen Zielen auch woanders nachgehen, vermutlich wäre das sogar einfacher. Aber er hängt an Herrsching, deswegen sucht er weiter nach der Halle, die alles ändern könnte. Ihm bleibt noch mehr als ein Jahr. Und solange macht Max Hauser, was er schon immer gemacht hat: Er setzt auf sich selbst.